Gourmetwunder Spanien – Fine Dining als Kunstform Derk Hoberg
Interview mit dem Chef-Inspektor des spanischen Guide Michelin

Gourmetwunder Spanien – Fine Dining als Kunstform

Spaniens Küche hat sich von einer traditionsreichen Esskultur zu einer internationalen Kunstform in Sachen Fine Dining entwickelt. Spitzenköche wie Adrià, Ruscalleda oder die Brüder Roca haben das Land in den letzten Jahrzehnten an die Spitze der Haute Cuisine geführt – sichtbar in 291 Sterne-Restaurants, die 2025 mit den berühmten Sternen ausgezeichnet wurden. Im Interview mit worlds of food spricht der Chef-Inspektor des spanischen Guide Michelin – der wie alle Testesser anonym bleiben muss – über die Gründe für das spanische Gourmetwunder.

Testesser des Guide Michelin legen im Durchschnitt weltweit etwa 30.000 km jährlich zurück, schlafen 160 Nächte im Hotel und essen ungefähr 250 Mal im Restaurant. Ihre Expertise und ihre Anonymität sind seit dem Jahr 1900 oberstes Kriterium und für unabhängige Testergebnisse von enormer Bedeutung. So ist der traditionsreiche Guide Michelin die wohl verlässlichste Referenz, wenn es um die gehobene Küche geht.


In Spanien haben sie seit einigen Jahren besonders viel zu tun, erlebt die Gourmetküche auf der Iberischen Halbinsel nicht nur in Metropolen wie Madrid, Barcelona oder San Sebastian sowie auf den Balearen doch seit Jahren einen enormen Boom. Aber auch in touristisch noch nicht komplett erschlossenen Regionen wie in Kastillien - La Mancha und anderswo gibt es inzwischen zahlreiche Sterne-Restaurants und kreative Küche auf höchstem Niveau.

Insgesamt wurden für 2025 291 Restaurants im Land ausgezeichnet, davon 16 Restaurants mit drei Sternen, 33 mit zwei Sternen und 242 mit einem Stern gewürdigt. Wir haben beim spanischen Guide Michelin nachgefragt, was die Gründe für dieses spanische Küchenwunder sind.

worlds of food: Was macht die spanische Küche so erfolgreich?

Chef-Inspektor: Die spanische Küche verdankt ihren Erfolg einer einzigartigen Kombination von Faktoren. Zum einen verfügt das Land über eine große geografische und klimatische Vielfalt, die den Zugang zu einer enorm breiten Palette an frischen und qualitativ hochwertigen Zutaten ermöglicht. Außerdem ist es jeder Region gelungen, ihre eigenen kulinarischen Traditionen zu bewahren und zu stärken, wobei das kulturelle und gastronomische Erbe zahlreicher Zivilisationen und Völker über die Jahrhunderte hinweg integriert wurde. Hinzu kommt der innovative Geist der Fachleute, die Kreativität mit Respekt vor der Tradition zu verbinden wussten und so eine international anerkannte Küche geschaffen haben. Nicht zu vergessen ist auch die grundlegende Rolle des Tourismus, der den Austausch von Ideen und Geschmäckern gefördert hat, sodass die spanische Gastronomie sich ständig weiterentwickelt und über die Landesgrenzen hinaus an Bedeutung gewinnt.

Selbst in bislang wenig bekannten Regionen für Touristen, wie zum Beispiel La Mancha, gibt es zahlreiche Spitzenrestaurants. Handelt es sich also um ein nationales Phänomen, das über die traditionellen gastronomischen Zentren wie San Sebastián oder Katalonien hinausgeht?

Zweifellos hat sich die gastronomische Exzellenz auf das gesamte spanische Territorium ausgeweitet. Sie beschränkt sich nicht mehr nur auf die bekannten kulinarischen Epizentren des Landes, sondern es ist auch in traditionell weniger touristischen Regionen ein Angebot von höchster Qualität entstanden. Dies spiegelt zum einen den kulturellen Reichtum und die Vielfalt der regionalen Produkte wider und zum anderen den Stolz der Menschen darauf, ihre lokalen Rezepte und Techniken zu bewahren und aufzuwerten. So ist es inzwischen üblich, in unerwarteten Gegenden Referenzrestaurants zu finden, was zur Demokratisierung der Haute Cuisine beiträgt und die ländliche wie auch die lokale Entwicklung vorantreibt.

Kreative Köpfe wie Ferran Adrià und sein Bruder haben weltweit Schlagzeilen mit ihrem El Bulli gemacht; sie sind zweifellos die bekanntesten Vorreiter und Repräsentanten dieser erfolgreichen kulinarischen Revolution. Wer hat außerdem entscheidend dazu beigetragen?

Der Erfolg der spanischen Küche lässt sich nicht allein durch einige wenige Namen erklären, auch wenn Persönlichkeiten wie die Brüder Adrià eine Schlüsselrolle in der gastronomischen Revolution gespielt haben. Weitere einflussreiche Fachleute sind Juan Mari Arzak, Pionier der neuen baskischen Küche; Martín Berasategui, Träger zahlreicher Michelin-Sterne; Carme Ruscalleda, eine Referenz in der katalanischen Küche und die einzige Frau weltweit mit sieben Michelin-Sternen; Andoni Luis Aduriz, bekannt für seinen experimentellen Ansatz im Mugaritz; und die Brüder Roca, die im El Celler de Can Roca Kreativität und Technik auf höchstem Niveau vereinen. Die Liste ist lang, und es wäre ungerecht, nicht die Arbeit vieler weiterer Köche und Teams anzuerkennen, die mit Leidenschaft und Hingabe die spanische Gastronomie an die Weltspitze geführt haben.

Glauben Sie, dass die große Zahl spanischer Qualitätsprodukte, wie frischer Fisch und Meeresfrüchte, der Ibérico-Schinken oder der Manchego-Käse, ebenfalls eine wichtige Rolle spielen? Gibt es darüber hinaus historische Gründe für die heutige kulinarische Vielfalt?

Der Reichtum und die Qualität der spanischen Produkte sind zweifellos grundlegende Säulen für das Ansehen der nationalen Küche. Die Vielfalt an Zutaten – vom Fisch und den Meeresfrüchten der Küsten bis hin zu Wurstwaren, Käse, Ölen und Gemüse aus dem Landesinneren – ermöglicht eine Geschmacksfülle und eine unerschöpfliche Kreativität am Herd. Zudem ist die heutige kulinarische Vielfalt das Ergebnis einer von Jahrhunderten geprägten Geschichte voller kultureller Austausche, Eroberungen und Migrationen, die neue Techniken, Gewürze und Kochweisen mit sich brachten. So ist die spanische Gastronomie das Resultat einer ständigen Entwicklung, bereichert durch Einflüsse aus aller Welt.

Spanien war das erste Land in der langen Tradition des Michelin-Führers seit 1900, das eine Gala zur jährlichen Vergabe der Michelin-Sterne eingeführt hat. Überträgt sich die Kreativität der spanischen Gastronomie sogar auf den Michelin-Führer selbst?

Die Tatsache, dass Spanien Vorreiter bei der Organisation einer eigenen Gala zur Vergabe der Michelin-Sterne war, zeigt die Begeisterung und die Bedeutung, die die Gastronomie in der spanischen Gesellschaft hat. Diese Feier würdigt nicht nur die besten Restaurants, sondern hebt auch die Kreativität, Innovation und Leidenschaft hervor, die die nationale Küche auszeichnen. Die Michelin-Gala in Spanien ist an sich ein Spiegelbild dafür, wie tief die kulinarische Kultur in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert ist und wie sie zu einem Grund für Stolz und einem Symbol der Identität geworden ist.

Sie sind den aktuellen Trends und Entwicklungen in der Haute Cuisine sehr nah. Welche Trends sehen Sie als besonders relevant, und glauben Sie, dass es in Zukunft einen weiteren qualitativen Sprung geben wird, der mit der Molekularküche vergleichbar ist?

Derzeit erlebt die spanische Haute Cuisine eine Phase kreativer Hochspannung. Zu den relevantesten Trends zählen eine klare Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und Respekt für die Umwelt, die Wiederentdeckung alter Techniken, die mit moderner Vision neu interpretiert werden, sowie ein stärkerer Fokus auf pflanzliche Küche, Fermentation und die vollständige Nutzung von Produkten. Auffällig ist auch die enge Zusammenarbeit und der Austausch von Ideen zwischen hochqualifizierten Fachleuten, was Innovation und eine schnelle Weiterentwicklung des Sektors erleichtert. Anders als in früheren Zeiten, als Veränderungen von wenigen Einzelnen angeführt wurden, gibt es heute ein viel breiteres und dynamischeres Netzwerk von Menschen, die die Gastronomie in neue Horizonte treiben. All dies lässt vermuten, dass, auch wenn die Revolution der Molekularküche außergewöhnlich war, die Zukunft weiterhin Überraschungen und qualitative Sprünge in der spanischen Küche bereithalten wird.