In der Corona-Krise und vor allem während des Lockdowns unterstützen Chef Ángel León und sein Team jüngst zahlreiche bedürftige Familien der Region, indem sie sie mit kostenlosen Gerichten versorgten. Im Rahmen der Kampagne #ChefsForSpain wurden im Aponiente während des Lockdowns über 10.000 kostenlose Gerichte gekocht, die in Cádiz und Umgebung an Bedürftige verteilt wurden. Seit dem 2. Juli 2020 empfängt das Aponiente nun wieder Gäste, um ihnen in insgesamt 20 Gängen die Vielfalt des Meeres näher zu bringen.
Das Interview mit Ángel León
worlds of food: Ángel, Sie sind der „Chef del Mar“, kochen fast ausschließlich mit Produkten aus dem Meer. Wenn Sie sich aktuell die Welt und ganz speziell den Zustand der Meere anschauen, was denken Sie?Ángel León: Das macht mich wirklich traurig, mitanzusehen, wie es um die Weltmeere bestellt ist. Vielen ist noch immer nicht bewusst, was da vor sich geht. Ich hoffe sehr, dass die Menschen verstehen, dass sie ihr Verhalten grundlegend ändern müssen, um die Vielfalt des Meeres zu erhalten. Da geht es auch darum, dass man heute von den 60 bis 70 Fischarten, die es alleine hier in der Region gibt, nur noch fünf bis sechs kennt und diese dann überfischt werden. Hier sehe ich auch einen Bildungsauftrag für uns, dass wir den Menschen und auch den Restaurants die Vielfalt wieder näherbringen müssen. Wir wollen den Lebensraum Meer einfach sinnvoller nutzen und nicht einfach nur Spezies ausrotten. Das versuchen wir auf unsere Art, interpretieren klassische Gerichte mit Produkten aus dem Meer neu. So machen wir aus nicht so bekannten Fischarten zum Beispiel Chorizo. Das essen unsere Gäste dann auch gerne, sie verlieren so die Berührungsängste vor dem, was sie nicht kennen. Wir versuchen also, Meeresprodukte, die die Menschen nicht mehr kennen und mögen, neu zu verarbeiten, damit sie gegessen werden. So wie hier mit dem Plankton, das zuvor kein Mensch gegessen hat. Das enthält sicher den pursten Meeresgeschmack, den wir uns vorstellen können, probieren Sie mal.
Kostbares Gut: Ein Beutelchen Plankton zum Probieren und Würzen
Plankton statt Parmesan - Das Risotto im Aponiente
worlds of food: Das stimmt, intensiv und gut. Und es erinnert auch an Meeresfrüchte wie Garnelen und Muscheln.
Ángel León: Und das Plankton ist ein echtes Superfood, es enthält viele Mineralien und Vitamine und fast dreißigmal so viel Omega 3 Fettsäuren wie Olivenöl. Fünf Gramm davon enthalten so viel, wie drei bis vier Kilogramm Fisch. Nur wegen des Planktons enthalten Fische überhaupt Omega 3 Fettsäuren, weil sie sich davon ernähren. Deshalb ist ein Fisch für uns gesund und deshalb versuchen wir, Plankton zukünftig immer weiter in unsere Gerichte und in die Ernährung generell einzubauen – was allerdings mit enormen Aufwand verbunden ist. Alleine das Genehmigungsverfahren durch die EU hat sieben Jahre gedauert.
worlds of food: Wir haben in Deutschland ein Sprichwort: Gesund wie ein Fisch im Wasser. Das passt an dieser Stelle.
Ángel León: Ohne Zweifel.
worlds of food: Wie lange dauert es denn, solch eine kleine Menge Plankton wie diese zu gewinnen?
Ángel León: Wir benötigen sechs Monate, um unser Plankton zu ernten. Für die Menge in dieser Konzentration, die wir hier haben und die wir für Soßen, unser Meeresfrüchte-Risotto und ähnliches verwenden, benötigen wir zig Millionen Liter Meerwasser, um das Plankton daraus zu extrahieren. Wir haben das vor über zehn Jahren patentieren lassen, arbeiten lange schon mit Meeresbiologen der Universität zusammen. Wir forschen viel, um noch mehr über das Meer zu lernen. Dabei machen wir so manch freudige Entdeckung, die dann auch den Weg ins Restaurant findet.
Hinter und vor den Kulissen - In seinem Labor (oben) entwickelt Ángel León neue Gerichte für das Restaurant (unten)
worlds of food: Woher kommt denn Ihre Leidenschaft für das Meer, für dessen Produkte?
Ángel León: Ich bin von klein auf mit meinem Vater zum Fischen rausgefahren, da war von Anfang an eine Leidenschaft da – im Laufe der Zeit wurde vielleicht sogar eine Art Besessenheit daraus. Anfangs natürlich nicht als Koch, aber die Liebe zum Meer hat später auch meine Art zu kochen beeinflusst, mich als Koch geformt. Seitdem ich mit dem Aponiente schließlich mein eigenes Restaurant aufgemacht habe, fühle ich mich sogar manchmal selbst wie ein Meeresbiologe, ohne einer zu sein – ich mache schließlich immer noch Kroketten und backe Brot (lacht).
worlds of food: Auf der Liste der World´s 50 Best Restaurants geht es für Sie aber immer weiter nach oben – Sie belegen inzwischen Platz 94 – und der Guide Michelin bewertet das Aponiente seit 2017 mit drei Sternen. Waren solche Auszeichnungen immer schon Ziele auf Ihrer Agenda?
Ángel León: Ich war nie ein Koch, der drei Michelin-Sterne erreichen wollte. Dennoch war ich aufgrund meines Konzepts früh bei Kongressen wie der Madrid Fusion, hielt Vorträge vor Spitzenköchen aus aller Welt. Das habe ich aber eher meiner Leidenschaft für das Meer zu verdanken. Dem, was ich den Menschen über das Meer zeigen will. Eigentlich wollte ich nur diese Vision verwirklichen – und dabei die Gäste glücklich machen und mein Team bezahlen können.
worlds of food: Sie sagten, Sie bereiten auch typische spanische Wurst-Produkte ausschließlich aus Meeresfrüchten und Fisch zu, die tatsächlich so schmecken, wie man das gewöhnt ist. Dazu würzen Sie mit Plankton, präsentieren Ihren Gästen fluoreszierende Meerestiere. Woher kommen diese Ideen, Ihre Kreativität generell?
Ángel León: Von der Notwendigkeit, die mein Konzept so mit sich bringt. Wer nur mit Produkten aus dem Meer arbeitet, muss sich hin und wieder neu erfinden – gerade dann, wenn man will, dass die Menschen vielfältiger essen. Und wir interpretieren viele typische Gerichte, die normalerweise mit Produkten wie Fleisch gekocht werden, auf unsere Art. Dafür schließen wir das Restaurant im Winter immer für vier Monate, um neue Zutaten zu integrieren, neue Gerichte zu entwickeln.
Links Plankton, rechts eine fluoreszierende Mini-Schrimpsart, die beim Umrühren zu leuchten beginnt. Dafür wird der Gastraum des Aponiente kurz abgedunkelt.
worlds of food: Woher beziehen Sie die Produkte dafür? Ausschließlich aus der Region hier?
Ángel León: Ich habe das Glück, dass ich hier aufgewachsen bin, die Fischer kenne und sie sogar zwei- bis dreimal pro Woche treffe. Ich weiß also, auf wen ich mich verlassen kann und wer wie fischt. Deshalb gehe ich auch nicht mehr auf den Fischmarkt. Ich arbeite lieber direkt mit den allerbesten zusammen.
worlds of food: Wie viel Prozent machen die Produkte aus dem Meer in Ihrer Küche denn in etwa aus?
Ángel León: Etwa 90 Prozent. Der Rest ist Gemüse, also Zwiebeln, Knoblauch und Paprika zum Beispiel, das wir hier aus Andalusien beziehen und auch nur minimal einsetzen. Hauptsächlich um Brühen und Soßen herzustellen. Gemüse als Beilage oder einen Salat servieren wir also gar nicht hier.
Derk Hoberg (re.) traf Ángel León im Aponiente zum Gespräch und zum Probieren der Fisch-Chorizo
worlds of food: Haben Sie denn einen Lieblingsfisch?
Ángel León: Ja, auf Spanisch heißt er Lisa, die Meeräsche also. Ein Fisch, den lange Zeit kaum jemand essen wollte. Der wurde früher für drei Euro das Kilo verkauft, bis wir vor sieben Jahren versucht haben, ihn populärer zu machen. Jetzt ist die Nachfrage größer, der Fisch wird respektiert und kostet inzwischen 14 Euro. Die gestiegene Nachfrage entlastet die Fangquoten anderer Fischarten, deren Bestände sich dadurch ein wenig erholen können. Das ist gut für die Fischer, die die Meeräsche nun nicht mehr nur als Beifang haben und die Vielfalt auf dem Teller ist letztlich auch gut für den Konsumenten.
worlds of food: Kommen Flüsse und deren Produkte für Ihre Küche auch in Frage?
Ángel León: Nein, nur das Meer. Ich habe das mal versucht, mit Süßwasserfischen zu kochen, aber mir persönlich fehlte einfach die Beziehung dazu, den Fischen der gewisse Charakter.
worlds of food: Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Teammitglieder aus? Müssen diese einen Doktortitel in Meeresbiologie mitbringen?
Ángel León: Nein, natürlich nicht (lacht). Interessant in diesem Punkt ist allerdings, dass ich als Koch hier selbst erst lernen musste, wie viel ich meinen Gästen von unserem Konzept zumuten kann. Dem Gast geht es beim Restaurantbesuch in erster Linie um Genuss, nicht um das Konzept eines Kochs – da war ich anfangs sicher selbst ein wenig zu verbohrt. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, wie ich meine Gäste mit Genuss von meinem Konzept hier überzeugen konnte. Heute verfügen wir über Kreativität, gute Aromen und haben genug Erfahrung, um den Gästen ein tolles Erlebnis zu bieten. Und das alles ohne den erhobenen Zeigefinger.
Tortillita de Camerones (oben) und Knusprige Muränenschwarte (unten)
worlds of food: Haben Sie abschließend eigentlich gar keine Angst, das irgendwann der Tag kommt, an dem Sie den Fisch über haben?
Ángel León: Nein, wirklich nicht. Die Erde besteht zu etwa 70 Prozent aus Wasser, fruchtbares Land existiert viel weniger. Das Meer ist folglich wesentlich vielfältiger als der Boden. Es ist also ganz einfach für mich, Langeweile zu vermeiden. Und es gibt noch so viel zu entdecken, das Meer ist noch immer ein großes Mysterium. Ich finde aber auch, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, mehr Menschen an unseren Entwicklungen und den Ideen zur Nachhaltigkeit teilhaben zu lassen, nachdem wir so lange – ich will nicht sagen im Verborgenen – aber doch eher für uns geforscht haben.
Hier: Alle weiteren Informationen über das Aponiente
Tolles Erinnerungsstück: Das Menü "Meer der Ruhe" im Aponiente wird in einem "Logbuch" mit Dublone, Schiffstau und Meersalz überreicht