Emiliano: Jede dieser Erfahrungen hat einen tiefen Eindruck hinterlassen. Im Noma habe ich gelernt, Zutaten mit anderen Augen zu sehen – die Jahreszeiten und die Natur zu respektieren und die Schönheit in der Schlichtheit zu finden. Von Alain Ducasse und Albert Adrià habe ich Präzision und Disziplin gelernt; bei Massimo Bottura, wie man mit Essen Geschichten erzählt und Emotionen weckt. Diese Erlebnisse haben mir geholfen, eine kulinarische Identität zu formen, die Kreativität und Wurzeln verbindet – das Gleichgewicht zwischen Innovation und Erinnerung.

Gastfreundschaft bedeutet Verbindung, nicht Perfektion
Kayo, Sie haben vom Nobu Toronto bis zum Park Hyatt in der Fine-Dining-Welt gearbeitet. Wie hat das Ihre Sicht auf Gastfreundschaft verändert?Kayo: In der Fine-Dining-Welt habe ich gelernt, dass Gastfreundschaft mehr ist als perfekter Service – es geht um Verbindung. Bei Nobu und im Park Hyatt habe ich verstanden, wie man die Bedürfnisse eines Gastes erkennt, bevor er sie ausspricht, und wie Atmosphäre, Ton und Körpersprache ein Erlebnis prägen können. Im Radici Project wollte ich eine stille Eleganz schaffen – einen Service, der natürlich, persönlich und warm wirkt, statt formell oder distanziert.
Wie integrieren Sie Ihre unterschiedlichen kulturellen Hintergründe – italienisch und japanisch – in die Vision des Radici Project?
Emiliano: Wir kommen aus zwei Kulturen, die – so verschieden sie sind – beide ein tiefes Verständnis für Handwerkskunst und Saisonalität teilen.
Kayo: Wir schätzen beide Harmonie. In Japan nennt man sie wa, in Italien equilibrio. Dieses Konzept wurde zum Fundament von Radici Project. Unser Restaurant ist ein Dialog zwischen unseren Traditionen – keine „Fusion“ aus Trendgründen, sondern ein echtes Gespräch zwischen Italien und Japan, interpretiert mit kanadischen Zutaten.

Was bedeutet der Name „Radici“ für Sie persönlich und im Kontext des Restaurants?
Radici bedeutet „Wurzeln“ auf Italienisch. Es steht für unsere Herkunft – unsere Erinnerungen, Familien, Mentoren. Gleichzeitig symbolisiert es, geerdet zu bleiben, während man in neuer Erde wächst. Für uns bedeutet es, unsere Wurzeln nach Kanada zu bringen und sie hier weiterzuentwickeln. Der Zusatz Project erinnert uns daran, dass Radici niemals abgeschlossen ist – es ist ein lebendiger Prozess, der sich ständig verändert und wächst.
Sie kombinierten italienische und japanische Kochstile zu sogenanntem „Itameshi“. Was fasziniert Sie daran?
Beide Küchen feiern das Produkt – Einfachheit, Respekt vor Geschmack und Liebe zum Detail. In unserer Küche wenden wir italienische und japanische Techniken nebeneinander an. Wir machen zum Beispiel einen Brodo wie ein Dashi oder verwenden Koji, um Käse oder Fleisch zu reifen. Ziel ist es nicht, wahllos zu mischen, sondern natürliche Punkte der Harmonie zwischen beiden Traditionen zu finden.Wie wählen Sie die Zutaten aus und welche Rolle spielt Nachhaltigkeit?
Wir arbeiten eng mit lokalen Bauern, Sammlern und kleinen Produzenten zusammen. Die meisten Zutaten sind kanadisch, aber unser Zugang dazu ist italienisch und japanisch geprägt. Nachhaltigkeit bedeutet für uns mehr als nur Herkunft – es geht auch darum, wie wir mit den Produkten umgehen. Wir streben nach Zero Waste: Knochen werden zu Fonds, Gemüseschalen zu Brühen, durch Fermentation verlängern wir die Lebensdauer und den Geschmack.

Jedes Gericht erzählt ein Stück unserer Geschichte – Radici Project
Wie spiegelt sich Ihr Stil in einem typischen Menü wider?Unser Menü ist wie eine kleine Reise. Es beginnt mit etwas Frischem und Minimalistischem – etwa einem saisonalen Crudo, das die Reinheit des Geschmacks betont. Danach folgen Gerichte, die Kulturen verbinden, wie Tortellini mit Kürbis und Wasabi in einem Hühner-Dashi mit Trüffel. Andere Gänge widmen sich Fermentation oder Reifung, etwa Koji-aged Beef. Jedes Gericht erzählt ein Stück unserer Geschichte – von Erinnerung, Technik und Entdeckung.
Wie haben Ihre Reisen durch Europa und Japan euren Blick auf Kulinarik verändert?
Reisen verändern, wie man Essen versteht. Jeder Ort lehrt dich etwas über Kultur, Geduld und Rhythmus. Europa hat mir gezeigt, wie Emotion und Storytelling ein Mahl prägen können. Japan hat mir Stille gelehrt – und wie kraftvoll Zurückhaltung sein kann. Beides zusammen formt Radici zu einem Ort, der emotional und meditativ zugleich ist – ausdrucksstark und ruhig.
Kayo, Sie haben das Interieur von Radici gestaltet. Welche Atmosphäre wollten Sie schaffen?
Wir wollten, dass Radici wie ein stilles Refugium in der Stadt wirkt – minimalistisch, warm und zeitlos. Wir haben natürliche Materialien verwendet, sanfte Beige- und Sandtöne und eine offene Theke, die keine Barriere zwischen Gästen und Küche schafft. Der Raum soll dazu einladen, langsamer zu werden, sich zu verbinden und das Wesentliche zu genießen – den Moment und das Essen.

Wie haben Sie das Beverage-Konzept entwickelt – insbesondere Sake-, Wein- und Cocktailpairings?
Getränke sind für uns eine Verlängerung des Essens. Wir haben verschiedene Pairing-Wege geschaffen: kanadischer Wein und Sake, internationale Weine, Naturweine und alkoholfreie Kombinationen. Jede Begleitung erzählt eine Geschichte, die den Geschmack der Gerichte ergänzt und erweitert.
Wenn Sie ein Gericht wählen müssten, das Ihre gemeinsame Reise symbolisiert – welches wäre das?
Unsere Fagottini in Dashi mit Kürbis und Wasabi. Dieses Gericht vereint zwei Welten – die italienische Tradition der frischen Pasta und die japanische Kunst des Dashi. Es ist der Punkt, an dem sich unsere Kulturen treffen – zwischen Geborgenheit und Raffinesse, Erinnerung und Innovation. Es steht für das, was Radici Project ausmacht: Einfachheit, Tiefe und Harmonie, geboren aus zwei Sprachen, die sich im Geschmack verstehen.
Weitere Informationen: radiciproject.ca











