Aqua Crua – Volle Konzentration auf den Geschmack Aqua Crua -- "Latex-Chef" Giuliano Baldessari
Latex-Chef Giuliano Baldessari im Portrait

Aqua Crua – Volle Konzentration auf den Geschmack

In Barbarano Vicentino, einer beschaulichen Gemeinde auf südlicher Route zwischen Padua und Vicenza im Veneto gelegen, findet sich mit dem Aqua Crua eines der derzeit wohl spannendsten Restaurants ganz Italiens. Chef Giuliano Baldessari kocht dort nicht nur drei außergewöhnliche Menüs, sondern sorgt auch mit seinem Outfit für internationale Furore. Was dahintersteckt und welch ungewöhnliche Zutaten in dem mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant auf dem Teller landen, lesen Sie hier.

Giuliano Baldessari, 1977 in Roncegno Terme (Trentino) geboren, lernte sein Handwerk in renommierten Küchen, sammelte unter anderem Erfahrung als Sous-Chef bei Spitzenkoch Massimiliano Alajmo im La Calendre in Padua und beim französischen Wildkräuterkoch Marc Veyrat, erarbeitete sich handwerkliche Präzision und entwickelte ein besonderes Gespür für Aromen. 2014 eröffnete er mit dem Aqua Crua schließlich sein eigenes Restaurant, welches nur ein Jahr später bereits mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde.

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Seither kocht er dort mit wenigen, dafür überwiegend selbst in der Natur der heimischen Alpen gesammelten Produkten und bekommt Gänsehaut, wenn er über deren Vitalität spricht. Die Gerichte sollen eine klare Sprache sprechen, die Teller nicht mit Deko überladen, sondern kreativ sein und eine klare Linie verfolgen. Diese zieht sich durch seine drei zum Teil provokanten Menüs mit den Titeln Iniziazione I-III (dt. Einführung 1-3), die er neben dem à la carte-Menü anbietet. Diese bauen aufeinander auf, können nur in dieser Reihenfolge geordert werden und erfordern somit drei Besuche im Aqua Crua. Der kulinarische Dreiteiler steigert sich dabei in Sachen Intensität von Menü zu Menü und kulminiert im dritten, das – ohne an dieser Stelle zu viel zu verraten – aufgrund seiner Zutaten für manchen Gast zuweilen herausfordernd, immer aber wohlschmeckend ist.

Latex-Anzug für mehr Fokus

Provokant mag auch das Outfit erscheinen, mit dem Giuliano Baldessari in der Regel in der offenen Küche und damit unmittelbar vor seinen Gästen kocht – das aber aus einem guten Grund: Sein schwarzer Latex-Anzug, den man gemeinhin in anderem Kontext als dem einer Gourmet-Küche vermutet, soll ihn von äußeren Einflüssen abschirmen und seinen vollen Fokus auf das Kochen und das Abschmecken der Gerichte lenken.

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„Ich bin Hyperaktiv, kann mich bei Ablenkung schlecht bis gar nicht konzentrieren“, erklärt Baldessari, den man früh morgens schonmal auf den Knien in seinem Restaurant antrifft, gerade dabei, den Holzboden intensiv mit einer Bürste zu schrubben. „Ich habe zu viel Energie, lasse mich zu leicht ablenken. Deshalb bin ich gerne in der Natur unterwegs und sammele frische, energetisch hochwertige Zutaten in den Bergen meiner Heimat, wo Bäume stehen, die schon mein Vater und mein Großvater dort haben stehen sehen“, schildert er mit erneuter Gänsehaut. „Abends schirme ich mich im Restaurant mit dem Anzug vor zu vielen äußeren Einflüssen ab. Privat trage ich den Anzug übrigens nicht, ich empfinde das nicht als sexy.“

Das, was manche als Marketing-Gag abtuen, hat tatsächlich sogar einen wissenschaftlichen Hintergrund: „Meine Freundin hatte während ihres Studiums mal eine Arbeit über Latex-Anzüge und ihre Funktion beim Sex gelesen, der zufolge man damit fokussierter auf das Wesentliche sei. Das wollte ich probieren, um womöglich mein Aufmerksamkeitsdefizit damit in den Griff zu bekommen – und siehe da, es funktionierte. Anfangs schämte ich mich noch, kochte darin nur hinter verschlossenen Türen. Irgendwann dachte ich aber: Wenn es hilft, zieh es doch einfach auch im Restaurant durch.“

Drohnenlarven im Menü

Seine Gäste nehmen keinen Anstoß daran, vielmehr freuen sie sich über die exzellenten Gerichte des Norditalieners. Dessen Ziel, sämtliche Sinne außer dem Geschmackssinn mit dem Latex-Anzug auszuschalten und Geräusche, visuelle und taktile Ablenkungen zu reduzieren, geht offensichtlich auf. Seine Hyperaktivität und Kreativität bremst dieser Anzug jedoch keinesfalls. Wer sonst bietet auf diesem Niveau drei unterschiedliche Menüs zusätzlich zur normalen Karte? Obendrein scheinen seine Tage stets mehr als die üblichen 24 Stunden zu haben. Neben seinem Job als Koch betätigt er sich nicht nur als akribische Putzkraft im eigenen Restaurant sondern auch als Kräutersammler im Wald und war jahrelang Juror der TV-Show „Top Chef Italia“. Daneben produziert er eigenen Wein, verkauft im Aqua Crua selbstgemachte Soßen, baut eigenes Gemüse an, geht auf die Jagd, sammelt Schnecken und Pilze für seine Gerichte und hat ferner einige Bienenstöcke. Nicht nur um Honig zu produzieren, die proteinreichen Drohnenlarven sind auch Teil seiner Menüs.

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Womit wir bei den Zutaten wären, die Baldessari in seinen Menüs zubereitet. Sie sind Spiegel seiner durch und durch in der Natur verwurzelten Seele. Sein Wildkräutersalat besteht aus sage und schreibe 22 verschiedenen Pflanzen und demonstriert mit einer an Plastikfolie erinnernden Teighülle, die über den Salat gezogen wird, gleichzeitig gegen die zunehmende Umweltverschmutzung. Auf der Suche nach den nötigen Kräutern wirkt er wie aufgedreht, entdeckt im Wald eine Zutat nach der anderen, probiert ein Blättchen hier, eine Wurzel da und hält gleich noch Ausschau nach Ringeltauben, die natürlich ebenfalls in seinen Menüs Verwendung finden.

salat aqua crua

Oben: Kräutersalat mit "Plastikverpackung"
Unten: Brust von der Ringeltaube

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Herausforderung Menü III

Spektakulär ist Baldessaris Rinderfilet, das mit Hilfe eines Schimmelpilzes aus der Käseherstellung gereift ist (u.i.Bild), die angesprochen Drohnenlarven serviert er gefroren. Sie verfügen über ein feines Honigaroma und auch das Tausendjährige Ei, das in unseren Breiten doch ein eher ungewöhnliches Gericht ist, überzeugt geschmacklich. Darüber hinaus würzt er mit einem Pilz, der auf Insekten wächst und färbt sein Risotto mit Plankton-Pulver. Über die übrigen Gänge des dritten Initiations-Menüs hüllen wir an dieser Stelle den Mantel des Schweigens. Nicht, weil sie nicht schmecken, sondern einzig um die Neugier auf diese avantgardistische Erfahrung zu wecken – schließlich ist es auch nicht gestattet, Fotos von den weiteren Gängen zu schießen und auch die Offenbarung, was man gerade genossen hat, kommt erst nach dem Verzehr.

aqua crua

giuliano baldessari menu 1
So bricht Giuliano Baldessari mit kulinarischen Konventionen und der Besuch im Aqua Crua wird zu einem spannenden und vielschichtigen Erlebnis. Geschmacklich aufgrund der Kreativität und des handwerklichen Vermögens des Spitzenkochs und optisch nicht nur dank des Latex-Outfits als „schwarzes Schaf“ in der weißen Küchenbrigade, sondern auch aufgrund seiner feinsinnigen Anrichteweise auf eigens vom 2017 verstorbenen Künstler Pino Castagna für das Aqua Crua entworfenem Geschirr – ein auf den Teller gemaltes Haar unter dem Risotto inklusive.

Alle weiteren Informationen unter: www.aquacrua.it

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