Paul Ivić: „Wir vergessen, dass wir ein Teil der Natur sind!“ Ingo Pertramer
Der Wiener Spitzenkoch Paul Ivić im Interview

Paul Ivić: „Wir vergessen, dass wir ein Teil der Natur sind!“

Spitzenkoch Paul Ivić kämpft auf allen Ebenen und mit Feuereifer für eine gesunde Küche und eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion. In einem sehr persönlichen Interview in seinem Wiener Sternerestaurant „Tian“ hat er uns mehr über seine Prinzipien verraten und was seine persönliche Gesundheit damit zu tun hatte.

worlds of food: Paul, Sie treten sehr engagiert auf, wenn es um nachhaltige Lebensmittelproduktion oder um die Verschwendung von Lebensmitteln geht. Genügt Ihnen die anspruchsvolle Aufgabe, ein vegetarisches Sternerestaurant zu führen, nicht?

Paul Ivić: Da gibt es eigentlich schon genug zu tun, das stimmt. Aber Engagement in der Küche ist generell wichtig. Ich empfinde es als unsere Pflicht als Köche, einerseits auf mehr oder weniger offenkundige Probleme in diesem Bereich aufmerksam zu machen, gleichzeitig aber auch Lösungsansätze zu bieten.

worlds of food: War es deshalb schon immer Ihr Plan gewesen, Koch zu werden?

Paul Ivić: Eigentlich nicht, auch wenn ich immer Wert auf gute Küche gelegt habe. Schon als ich in meiner frühen Jugend das Schulessen verweigert habe – es war einfach schlecht und ich empfand es schlichtweg als seelenlos. Meinen Eltern hat das oft Kopfzerbrechen bereitet, wenn ich mittags nichts gegessen habe, aber diese Einstellung habe ich mir bis heute bewahrt. Ich mache mir viele Gedanken über das Essen, die Produktion von Lebensmitteln und den Umgang damit.

worlds of food: Heute bieten Sie in Ihren Restaurants in Wien und in München eine rein vegetarische Küche an. Sind Sie selbst überhaupt Vegetarier?

Paul Ivić: Nein, ich habe auch meine Freude an einem guten Stück Fleisch von dem ich weiß, wo es her kommt, oder an einer guten Salami. Das Bedürfnis ist aber eher selten. Fleisch aus Massentierhaltung, Aufschnitt oder ähnliches wird man bei mir nicht finden. Solche Dinge habe ich seit Jahren aufgrund früherer gesundheitlicher Probleme verbannt und fahre sehr gut damit.

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Paul Ivić serviert im Tian raffinierte vegetarische Küche auf Sterneniveau

worlds of food: Wie kam es denn zu diesem Umdenken, schließlich haben Sie früher in guten Häusern und Hotels gekocht und dort sicher auch mit gutem Fleisch gearbeitet…

Paul Ivić: Anfang 30 hatte ich psychische Probleme, heute nennt man es wohl Burnout, fühlte mich wie in einem Hamsterrad. Auslöser war sicherlich, dass es nur noch darum ging, möglichst günstig zu kochen. Die Qualität blieb oft komplett auf der Strecke, der Spaß an der Arbeit dadurch ebenso. Ich bin sicher, dass sich das neben meiner damaligen Ernährung auch auf meine übrige Gesundheit ausgewirkt hat, schließlich kam die Diagnose Herzkranzverengung dann nicht von ungefähr. Die Ärzte empfahlen mir Tabletten zu nehmen – sowohl gegen die Depressionen wegen dem Burnout als auch für die Herzkranzgefäße. Wenn nicht würden wir uns auf dem OP-Tisch wiedersehen, hieß es. Ich habe es ohne Pillen gemacht, meine Ernährung und mein Leben umgestellt, eine Operation dadurch vermieden. Dazu habe ich gelernt, dass ich mir selbst etwas Wert sein muss, damit ich richtig auf mich achte. Heute bin ich wirklich zufrieden. Gut, zumindest weitestgehend zufrieden. Ich sehe ja nicht nur, was aktuell in Sachen industrieller Lebensmittelproduktion schiefläuft, sondern entdecke auch an mir immer wieder Dinge, die ich noch verbessern möchte. Wahrscheinlich ist es aber auch gut so, noch Ziele zu haben.

worlds of food: Wir würden Sie diese Ziele denn formulieren?

Paul Ivić: Wenn ich heute gute Produkte auf dem Teller habe, dann erinnere ich mich an meine Jugend zurück. An das Essen von damals, zum Beispiel an den guten Geschmack, den die Hühnereier meines Großvaters in Kroatien hatten. Daran möchte ich mich wieder öfter erinnern können. Dazu kommen eine Reihe weiterer Probleme wie die Massentierhaltung, die Verschmutzung der Böden, die Auswüchse der Konzerne, die die Macht über das Saatgut haben. Heute wird fast nur noch gegen die Natur gearbeitet, nicht mehr mit oder gar für sie. Wir vergessen dabei etwas ganz entscheidendes, nämlich dass wir ein Stück dieser Natur sind. Darauf möchte ich noch mehr Aufmerksamkeit lenken.

worlds of food: Haben Sie Hoffnung, dass sich an diesen Missständen etwas ändern kann?

Paul Ivić: Die Menschen werden sich hoffentlich immer bewusster, dass sie ein krankes Nahrungsmittel bekommen, wenn sie so günstig wie nur möglich einkaufen. Eines, das nicht mehr natürlich ist, mehrfach behandelt ist und das auf Ausbeutung von Mensch und Tier basiert. Im Falle von Fleisch oder Milch werden Tiere für schnellere Ergebnisse und mehr Ertrag mit Hormonen und Medikamenten vollgestopft. Der Preis des Fleischs und der Milch sinkt, die Industrie hat was sie will. Der Bauer hat dagegen aufgrund der sinkenden Preise neue, noch größere Probleme. Ein perverser Teufelskreis, am Ende sind nicht nur die Tiere sondern auch die Bauern selbst versklavt. Wenn also wieder mehr Menschen Wert auf Qualität legen, mehr darauf achten, was sie zu sich nehmen, dann verändern wir auch was. Und dafür müssen wir nicht einmal unser komplettes Leben auf den Kopf stellen. Es genügt, wenn jeder erst einmal nur 25 Prozent seines Einkaufsverhaltens ändert. Addiert liefert der Konsument so genügend ökonomische Argumente, damit sich etwas in Sinne nachhaltiger Lebensmittelproduktion tut.

paul ivic interview

worlds of food: Und die vegetarische Küche ist gewissermaßen Ihr Instrument dafür?

Paul Ivić: Nach der gesundheitlich schwierigen Phase habe ich mir damals zunächst geschworen, mich nicht mehr verbiegen zu lassen, nie wieder für – freundlich ausgedrückt – Menschen zu arbeiten, die ich nicht mag. Der Internet-Unternehmer Christian Halper machte mir schließlich das Angebot, hier in Wien ein vegetarisches Restaurant zu eröffnen, um in diesem Bereich neue Weg zu gehen. Zum Glück war ich so naiv, dieses Angebot anzunehmen (lacht).

worlds of food: Inwiefern naiv?

Paul Ivić: Ich wusste damals einfach nicht, was auf mich zukommt, wie schwer es wird, wirkliche Mitstreiter in der Küche zu finden. Außer meinem langjährigen Küchenchef Mathias Martin war anfangs kaum jemand dafür zu begeistern. Inzwischen sind meine Mitarbeiter so engagiert und fast strenger als ich bei der Auswahl der Produkte. Und ich wusste nicht, welche Möglichkeiten die vegetarische Küche mir tatsächlich bietet – alleine schon durch die Dynamik der Natur.

worlds of food: Wie gewährleisten Sie, dass bei Ihnen nur gute Produkte auf dem Teller landen?

Paul Ivić: Wir arbeiten mit einigen Bauern aus der Umgebung Wiens und kochen nur mit Gemüse, dessen Herkunft wir kennen. Mit diesem Ansatz unterstützen wir zudem kleine Landwirtschaftsbetriebe, stärken gleichzeitig die Region und ihre Vielfalt dadurch. Industrielle Alternativen für Fleisch- oder Wurstwaren, die es ja zu Hauf im Supermarkt gibt, verwenden wir dabei grundsätzlich nicht. Die vegetarische Küche ist so vielfältig und das Gemüse unserer Produzenten hat so einen sensationellen Geschmack, dass diese Art der Küche es gar nicht nötig hat, mit solchen Ersatzprodukten zu arbeiten.

Zur Person: Paul Ivić

s vegetarische winterkueche ivicPaul Ivić hat mit seiner Arbeit im vegetarischen Restaurant „Tian“ die Gemüseküche revolutioniert. Durch die Verwendung qualitativ hochwertiger Produkte und die Kombination unterschiedlicher Aromen und Küchentraditionen wechseln heimische und internationale Einflüsse einander ab – und zwar auf so hohem Niveau, dass es dem Guide Michelin 2014 einen seiner begehrten Sterne wert war. Zusätzlich zeichnet Ivić auch für das Münchner "Tian" verantwortlich und arbeit eng mit dem dortigen Küchenchef Christian Schagerl zusammen und veröffentlicht vegetarische Kochbücher.