Kaiserschnecke: Zwischen Tradition, Handwerk und Nachhaltigkeit Derk Hoberg
Ein Besuch auf dem Schneckenhof in Elmau

Kaiserschnecke: Zwischen Tradition, Handwerk und Nachhaltigkeit

Auf einem sonnigen Hochplateau hoch über dem Tiroler Örtchen Ellmau züchtet Simone Kaufmann auf dem Hof ihrer Großeltern ein Tier, das in Österreich lange in Vergessenheit geraten war – die Weinbergschnecke. Mit ihrem Unternehmen „Kaiserschnecke“ hat sie der alten Delikatesse neues Leben eingehaucht – und das mit Leidenschaft und Respekt vor dem Tier.

Simone Kaufmanns (u.i.Bild) Weg zur Schnecke war kein geradliniger. Nach dem Besuch einer Tourismusschule zog es sie in die Welt: Sie arbeitete beim Film, als Tauchlehrerin in Thailand und auf einer Superyacht in der Karibik. Erst mit der Rückkehr in die Heimat und dem Einstieg in das Weinatelier Agnes, das Feinkostgeschäft ihrer Mutter, kam sie wieder auf den Geschmack – im wahrsten Sinne des Wortes. „Wir haben damals Degustationsmenüs mit zehn Gängen und zehn Weinen gemacht, von Heuschrecke bis Krokodil – immer auf der Suche nach besonderen Lebensmitteln“, erzählt sie. Eines Tages stieß sie in einem Gourmetmagazin auf einen Artikel über Schneckenzüchter. „Dass Schnecken ein uraltes, nahrhaftes und gleichzeitig so nachhaltiges Lebensmittel sind, hat mich sofort fasziniert.“

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Nachhaltigkeit mit Schleimspur

Tatsächlich war Österreich im Mittelalter ein Schneckenland: In Wien wurden einst mehr Schnecken verkauft als in Paris. Heute sind die Tiere fast aus der Küche verschwunden – und Simone Kaufmann wollte das ändern. „Eine Schnecke braucht 80 Prozent weniger Fläche, Futter und Wasser als ein Rind, um dieselbe Menge Protein zu liefern“, erklärt sie. 2019 startete sie ihre ersten Versuche, baute Gehege und begann mit 500 Schnecken aus einer burgenländischen Zucht.

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Doch Schnecken zu züchten ist alles andere als einfach. „Sie haben viele natürliche Feinde – vom Vogel bis zur Maus – und unser Mikroklima hier in den Bergen ist völlig anders als in Wien.“ Also baute Kaufmann Gehege, experimentierte mit Schutzpflanzen und studierte die Tiere monatelang. „Ich habe mir ein Terrarium ins Wohnzimmer gestellt – da brauchte ich keinen Fernseher mehr.“ Heute leben rund 200.000 Weinbergschnecken auf ihrem Hof – geschützt von Brennnesseln, Gräsern und eigens angepflanzten Kräutern. Gefüttert wird ausschließlich mit regionalem Gemüse und Kräutern. Synthetische Zusätze oder Medikamente kommen nicht zum Einsatz. „Ich arbeite komplett biologisch, auch wenn ich nicht biozertifiziert bin – einfach, weil Bio für mich selbstverständlich ist.“

Geschmack nach Wald und Regen

Die Schnecken, die Kaufmann heute züchtet, ist vor allem die mediterrane Weinbergschnecke (Helix aspersa maxima). „Sie schmeckt nach Wald – irgendwo zwischen Pilz und Kalbfleisch“, beschreibt sie. „Was sie essen, beeinflusst den Geschmack. Ich pflanze ihnen Salbei, Thymian und Klee, aber sie am meisten mögen sie Gurken – die sind schön saftig.“ Jede Schnecke wird von Hand geerntet, gereinigt und in Gemüsefond gegart. „Ich verarbeite sie selbst – vom Ei bis zum Verkaufsglas“, sagt die Züchterin. Der gesamte Prozess ist dabei gesetzlich geregelt: „Die Tiere werden im Winterschlaf getötet, wenn ihr Organismus komplett heruntergefahren ist. Das kann ich moralisch vertreten.“

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Aus dem Fleisch entstehen feine Delikatessen: klassische Schnecken in Kräuterbutter, Schneckenragout im Glas oder Terrinen mit Bergkräutern. Neu hinzugekommen sind Schneckenkaviar – kleine, perlweiße Eier, die wie eine alpine Version von Beluga schmecken. „Alles wird verwertet, nichts geht verloren – das ist für mich echter Luxus“, betont sie.

Zwischen Achtsamkeit und Abenteuer

Die Arbeit am Hof ist körperlich fordernd und verlangt Geduld. Schnecken folgen keinem Zeitplan – sie wachsen, wenn das Wetter passt, sie schlafen, wenn es regnet, und verschwinden, wenn es zu heiß wird. „Ich kann hier nichts beschleunigen“, sagt Kaufmann. „Das lehrt dich Demut. Und Achtsamkeit.“ Trotzdem hat sie einen klaren Anspruch an Qualität und Ästhetik. „Ich sehe Kaiserschnecke als Delikatesse, nicht als Kuriosität. Es geht mir darum, das Image der Schnecke zu verändern – weg von der Gartenschnecke, hin zum feinen, nachhaltigen Lebensmittel.“

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Ihr Erfolg gibt ihr recht: Rund 50 Spitzenrestaurants – darunter das das nahegelegene Jezz AlmResort mit seinem Küchenchef Juan Kaiser, das Münchner Restaurant Broeding und auch das Wiener Steirereck – führen Kaiserschnecken auf der Karte. Manche servieren sie klassisch in Butter und Kräutern, andere modern – etwa mit fermentiertem Sellerie oder als Raviolifüllung. Und auch in Privatküchen findet die Schnecke langsam neue Fans: „Viele meiner Kunden kommen skeptisch – und gehen begeistert. Wenn man ihnen zeigt, wie fein und mild Schnecke schmeckt, ist das oft ein Aha-Moment.“

Handwerk trifft Natur

Was Simone Kaufmann auszeichnet, ist ihr Sinn fürs Ganze. Als gelernte Keramikerin fertigt sie das Geschirr, auf dem ihre Schnecken serviert werden, selbst – jedes Stück ein Unikat. „Ich wollte etwas schaffen, das das Produkt ergänzt. Eine Schnecke aus dem Glas zu essen, passt nicht zu dem, was ich tue. Also habe ich angefangen, Teller, Schalen und Servierobjekte zu drehen, die zur Schnecke gehören.“ Zwischen feuchter Erde, Kräuterduft und Töpferofen verschwimmen Landwirtschaft und Kunsthandwerk zu einer Einheit. „Das ist mein Weg, Slow Food wirklich zu leben – nicht nur über das Produkt, sondern über die ganze Haltung dahinter. Die Schnecke ist langsam – und das ist vielleicht ihr größter Lehrmeister“, sagt Simone Kaufmann. „Sie zeigt uns, dass gutes Essen Zeit braucht. Zeit zum Wachsen, zum Zubereiten, zum Genießen.“

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Info:

Kaiserschnecke – Weinbergschneckenzucht Simone Kaufmann, Ellmau (Tirol)

Führungen finden saisonal bis Herbst statt. Produkte sind über Hofverkauf und ausgewählte Partnerrestaurants erhältlich.

Mehr unter: www.kaiserschnecke.at