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Bei ausgewogener Ernährung: Keine Angst vor einer Übersäuerung

Kann unser Körper sauer werden?

Übersäuerung scheint sich zu einer neuen Volkskrankheit entwickelt zu haben. Schuld sein soll primär eine falsche Ernährung. Doch stimmt das? Informationen rund um den menschlichen Körper und die Gesundheit – erklärt von Prof. Dr. Curt Diehm.

Immer häufiger werde ich in letzter Zeit von Patienten gefragt, ob es möglich sei, dass ihr Körper übersäuert ist. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, ganz Deutschland fühlt sich „sauer“. Dazu erst einmal etwas Grundsätzliches: Ja, in unserem Körper gibt es Säuren und Basen. Sie sind lebenswichtig und über ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Systeme reguliert unser Körper mit ihnen seinen ph-Wert. Das alles passiert ohne unser Zutun, sozusagen vollautomatisch.

Das „Zauberwort“ dabei ist das „vollautomatisch“. Wenn wir nämlich beispielsweise zu viele säurebildende Lebensmittel essen, zu denen unter anderem Fleisch, Wurstwaren und Fisch, viele Milch-und Käseprodukte, aber auch Eier, alle Getreidearten und Süßigkeiten zählen, dann verfügt unser Körper über einen ausgeklügelten Regelmechanismus. Zum einen können wir über die Lunge überflüssige Säure quasi ausatmen und so unser Blut alkalischer machen. Zum anderen scheiden wir überflüssige Säure über den Stoffwechsel – zum Beispiel über die Niere – einfach aus.

Gleiches gilt übrigens auch, wenn wir zu viele basische Lebensmittel – beispielsweise Obst und Gemüse – essen. Auch dann reguliert der Körper automatisch nach. Zu den Basenbildnern gehören im Übrigen auch Zitronen, Orangen und Grapefruits, trotz ihres sauren Geschmacks.

Sie merken: Wer sich ausgewogen ernährt, muss grundsätzlich keine Angst vor einer Übersäuerung seines Körpers haben.

Säuren und Basen: Was sagt die Wissenschaft

Das alles wurde übrigens schon vielfach wissenschaftlich nachgewiesen. Ganz im Gegensatz zur Wirksamkeit der vielen Heilmittel und Kuren, die inzwischen gegen die angebliche Übersäuerung angeboten werden.

Vielfach wird außerdem behauptet, dass eine Übersäuerung des Körpers langfristig die Entstehung von Erkrankungen wie Arteriosklerose, Arthrose, Osteoporose oder Krebs begünstigen kann. Auch dafür gibt es jedoch keine wissenschaftliche Beweise. Ganz im Gegenteil. Eine Untersuchung des Instituts für Allgemeinmedizin Frankfurt kam sogar zu dem Resultat, dass keine Evidenz – also kein wissenschaftlicher Nachweis - für einen Zusammenhang zwischen einer Übersäuerung und den genannten Krankheiten besteht.

Die Studienautoren schreiben wörtlich: „Zur Behandlung einer Übersäuerung werden basische Diäten, Basenpulver, spezielle Massagen oder basische Pflegeprodukte empfohlen. Für keine dieser Maßnahmen lässt sich ein vorbeugender oder ein therapeutischer Effekt bei Arteriosklerose, Tumoren, Osteoporose oder Arthrose wissenschaftlich nachweisen.“

Wann es trotzdem zu einer ernsten Erkrankung kommen kann

Unabhängig von diesem Hype um Säuren und Basen in unserem Körper gibt es aber auch die Azidose genannte Erkrankung, bei der tatsächlich der Säurewert unseres Blutes zunimmt. Sie kann dann auftreten, wenn die Lunge aufgrund einer chronischen Lungenerkrankung nicht mehr in der Lage ist, genügend Kohlendioxid auszustoßen und damit den Säuregehalt im Körper zu regulieren. Auch eine Fehlfunktion der Nieren kann dazu führen, dass nicht mehr genügend Säuren ausgeschieden werden.

Sollte ein Patient unter einer Azidose leiden, behandeln wir jedoch in erster Linie die Ursachen – zum Beispiel durch eine Verbesserung der Lungenfunktion. Allerdings, und das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen, kommt eine solche Azidose nur sehr selten vor. Es besteht also kein Grund zur Panik: So schnell wird ihr Körper nicht „sauer“.

Zur Person


Prof. Dr. med. Curt Diehm zählt zu den führenden Medizinern im Südwesten Deutschlands, er ist Autor zahlreicher Fach- und Patientenbücher und langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßmedizin. Seit Mitte 2014 leitet er als Ärztlicher Direktor die renommierte Max Grundig Klinik in Bühl.