Interview mit Matthias Steiner – Ich kann auch mal über die Stränge schlagen alle Bilder: gettyimages

Interview mit Matthias Steiner – Ich kann auch mal über die Stränge schlagen

Mit 19 Jahren wurde bei Olympiasieger Matthias Steiner Diabetes Typ 1 diagnostiziert. Wie er als Leistungssportler damit umging, worauf er als Gewichtheber achten musste und wie viele Kalorien er im Training zu sich genommen hat, verrät der kürzlich zurückgetretene Gewichtheber im Interview.

steiner 2013Matthias Steiner 2013 - Kerngesundworlds of food: Herr Steiner, 196 KG sind bei den Olympischen Spielen in London auf Sie gestürzt. Bilder, die man nicht so schnell vergisst. Daher die wichtigste Frage vorneweg: Wie geht es Ihnen inzwischen?
Matthias Steiner: Inzwischen wieder blendend, wobei ich bis zum Ende des vergangenen Jahres zu kämpfen hatte. Zwischenzeitlich dache ich schon, die Schmerzen würden mich mein Leben lang begleiten, aber es wurde langsam besser.

worlds of food: Mal abgesehen vom guten Herzen, was ist denn eigentlich Ihr wichtigster Muskel?
Matthias Steiner: Der Quadrizeps, auf der Vorderseite des Oberschenkels.

worlds of food: Lag darauf dann auch der Schwerpunkt der Trainingsarbeit?
Matthias Steiner: Gar nicht mal. Aber der Quadrizeps ist immer im Einsatz, egal, ob man aus der Hocke aufsteht oder Kniebeugen macht. Der macht immer die Arbeit, ist am stärksten beansprucht. Allerdings werden beim Freihanteltraining auch die Arme und der Rücken, eigentlich der ganze Körper, ständig beansprucht.

steiner 2So jubelte Steiner nach seinem Olympiasieg 2008worlds of food: Seitdem Sie 19 sind haben Sie Diabetes Typ 1. Mussten Sie neben der täglichen Insulinspritze als Leistungssportler noch auf etwas anderes achten?
Matthias Steiner: Leistungssport und Diabetes treffen sich eigentlich ganz gut, da man verstärkt auf seinen Körper achten muss. Für mich existierten diese beiden Themen also nicht nebeneinander, sondern gehörten immer zusammen. Ich kann aber auch mal über die Stränge schlagen. Wenn ich sehr viel trainiert habe, vertrage ich also auch mal etwas Deftiges. Und das habe ich mir dann auch mal gegönnt, man kann ja nicht nur verzichten. Das macht auch jeder Sportler einmal, denke ich, es darf nur nicht zur Regelmäßigkeit werden. Eine ausgewogene Ernährung ist das A und O bei uns.

worlds of food: Wie muss man sich das denn vorstellen, wenn Sie über die Stränge schlagen?
Matthias Steiner: Ich gönne mir dann eine Pizza, ein Schnitzel. Ganz selten sogar Fast Food. Aber dann fahre ich zum Autoschalter und esse das heimlich irgendwo auf dem Feld, weil ich ja auch eine Vorbildfunktion habe. Ich möchte nicht, dass Kinder mich da in einem Burger-Restaurant sehen und denken, sie würden dadurch genauso stark wie ich. Deshalb verstehe ich auch keine populären Sportler oder Verbände, die dafür Werbung machen.

worlds of food: War die Diabetes-Erkrankung vielleicht sogar ein wenig hilfreich, um den eigenen Körper besser kennenzulernen?
Matthias Steiner: Leistungssport und Diabetes schließen sich zunächst mal nicht aus. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers hat es auch verbessert. Natürlich kann Diabetes auch hinderlich sein. Sobald etwas nicht passt, ist der gesamte Stoffwechsel durcheinander, das ist ein ganz komplexes Thema.

worlds of food: Aufgrund Ihrer Körpermasse und Ihrer Leistungen, wie viele Kalorien verbrauchten Sie denn während des Trainings am Tag? Oder anders: Wie haben Sie Ihr Gewicht gehalten?
Matthias Steiner: Das variierte stark mit der jeweiligen Trainingsphase. Im Internet kursiert die Zahl 8.000 Kalorien. Das stimmt auch, aber nur dann, wenn ich wahnsinnig große Umfänge trainierte, in der Anfangsvorbereitung. Und das geht auch nur in Kombination mit Kohlenhydrat- und Eiweißshakes, die sehr viele Kalorien enthalten. Mit normaler Nahrungsaufnahme ist das nicht machbar. Ansonsten habe ich im Training zwischen 4.000 bis maximal 5.000 Kalorien pro Tag verbraucht.

worlds of food: Der Sport hat Ihnen geholfen, die Krankheit in den Griff zu bekommen, genau wie er Ihnen geholfen hat, den Verlust Ihrer ersten Frau zu verarbeiten. Warum kann der Sport so viel Kraft geben?
Matthias Steiner: Der Sport hat die entscheidende Eigenschaft, dass man sich ein Ziel setzen kann. Wenn man ein Ziel hat, dann will man das auch erreichen. Das geht nur ohne Abstriche. Und wenn man in einem Sport wie dem Gewichtheben aktiv ist – ich will jetzt nicht sagen, dass andere Sportarten nicht hart sind – dann ist man durch den enormen Aufwand so abgelenkt, dass man nicht an andere Dinge denken muss oder kann.

matthias und ingeInge und Matthias Steinerworlds of food: Hatte Ihr Rücktritt vom Sport gesundheitliche Gründe, spüren Sie schon einen körperlichen Verschleiß?
Matthias Steiner: Nein, das war nicht das Problem. Ich habe mich gerade erst von den Ärzten durchchecken lassen und bin ein komplett gesunder Mensch. Das geht von den beanspruchten Bereichen, der Knorpeldichte und Knorpelstärke über die Wirbelsäule bis hin zu den Blutwerten. Die Gesundheit war also nicht das ausschlaggebende Kriterium. Ich möchte mich einfach um meine Familie kümmern, ich habe inzwischen ja zwei Kinder. Wenn ich aber mit dem Gewichtheben weitergemacht hätte, hätte ich komplett auf den Zug aufspringen müssen, drei Jahre hart bis zu den Olympischen Spielen in Rio trainieren, wäre ständig unterwegs. Es ist eine Entscheidung für die Familie, auch wenn ich den Sport vermissen werde.