Das schlägt auf den Magen – Wettessen als Sport www.istockphoto.com/sjlocke

Das schlägt auf den Magen – Wettessen als Sport

Über 60 Hot Dogs in zehn Minuten. Oder über 200 Chicken Wings. Wie wäre es mit über 100 Burgern in acht Minuten? In den USA, in Japan, aber auch anderen Teilen der Welt wird Wettessen mittlerweile als semiprofessioneller Sport betrieben. Warum tut man so etwas – und was tut man seinem Körper damit eigentlich an?

Sie heißen Joey „Jaws“ Chestnut, Sonya “Black Widow” Thomas, oder auch einfach nur „Furious Pete“: die Stars der in den letzten Jahren immer stärker aufkommenden Wettbewerbe im Wettessen. Mit dem traditionellen „Hot Dog Wettbewerb“  am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, hat dieser Trend seinen Höhepunkt gefunden. 30 Teilnehmer treten an, während zehntausende Fans vor der Bühne auf das Spektakel warten. Das Fernsehen überträgt live.

Schön anzuschauen ist dieser „Sport“ wahrlich nicht. Auf Kommando machen sich die Teilnehmer über ihre Hot Dogs her, schmatzen und schlingen, schlucken und würgen. Sie tunken ihre Brötchen in Flüssigkeit und quetschen sie aus. Es spritzt. Nach ein paar Minuten wird es ein Kampf des Geistes gegen den eigenen Körper, jeder Hot Dog eine einzige Qual. Den Fans ist das egal, sie johlen und feuern die Teilnehmer an.



Essen in einer eigenen Liga

96 Mal hat es dieses Wettessen schon gegeben, aber erst in den letzten zehn Jahren ist daraus ein öffentliches Spektakel geworden. Die Teilnehmer bereiten sich akribisch darauf vor - mit Folgen: Der Weltrekord hat sich seit dem Jahr 2000 von 25,5 auf 68 Hot Dogs fast verdreifacht. Aus ein paar Wettessern ist mittlerweile eine ganze Liga geworden, professionell geleitet, mit fast 100 Events im Jahr überall auf dem Globus.

Noch ist es, abgesehen vom 4. Juli, eine Randsportart. Die Prämien sind vergleichsweise mager: Der Sieger des Hot-Dog-Wettessens erhält Zehntausend Dollar. Krankenversicherung gibt es nicht. Die Homepage der Liga warnt übrigens ausdrücklich davor, daheim zu „trainieren“.

Training

Das tun die Profis natürlich trotzdem, wie sie offen zugeben. Joey Chestnut, fünffacher Titelträger beim Hot-Dog-Wettessen und Erster der Rangliste, dehnt seinen Magen, indem er bis zu vier Liter Wasser oder Milch auf einmal trinkt. Vor einem wichtigen Wettkampf fastet er ein paar Tage und bestreitet dann Übungswettkämpfe, in denen er sein Pensum langsam steigert. Wie bei einem Marathonläufer, findet er. Andere essen riesige Mengen Kohl, oder kauen mehrere Streifen Kaugummi, um die Kiefermuskeln zu stärken.

Und was ist mit dem Rest des Körpers? Wer Takeru Kobayashi, den früheren Hot Dog Weltrekordler, zum ersten Mal sieht, wird ihn vermutlich für einen „herkömmlichen“ Athleten halten. Der Japaner glänzt mit riesigem Bizeps und knallhartem Waschbrettbauch, der auch nach den Fressorgien noch zu sehen ist. Joey Chestnut sieht körperlich eher nach College-Student aus, joggt aber lange Strecken, und Sonya Thomas traut man mit ihren nicht einmal 50 Kilogramm keine vier Hot Dogs zu, geschweige denn 40. Die Zeiten der 150kg-Kolosse, denen man jeden jemals gegessenen Burrito und jedes Pizzastück anzusehen meint, sind definitiv vorbei. 

Kalorienzählen in der Freizeit

Die Gründe dafür liegen allerdings nicht nur im Gesundheitsbewusstsein der heutigen Hot-Dog-Helden. Einige folgen der Theorie, dass die Ausdehnung des Magens durch eine Fettschicht nur eingeschränkt werde. Kobayashi stemmt Gewichte, um sein Gewicht zu halten. „Ich muss langfristig Kalorien zählen“, gibt auch Chestnut zu. „Je gesünder ich in einen Wettkampf gehe, desto mehr kann ich essen. Sobald ich zunehme, wird es schwer.“

Nun kann das bloße Halten des eigenen Gewichts durch die Achterbahnfahrten, wie sie Chestnut vor jedem Wettkampf durchmacht, nicht gerade als gesund bezeichnet werden. Dafür sind auch die Wettbewerbe viel zu sehr auf Fast Food ausgerichtet. Den Veranstaltern aber kommen einigermaßen schlanke Teilnehmer nicht gerade ungelegen. Schließlich wird auch ein Image durch die Teilnehmer an den Wettkämpfen transportiert – in diesem Fall ein „Wettessen ist nicht ungesund und macht auch nicht dick. Schaut sie euch an: Das sind Sportler!“

Gesundheitliche Risiken

"Mein Blut ist in Ordnung, mein Herz auch. Mein größtes Risiko ist ein verstauchter Knöchel beim Joggen“, flachst Chestnut, und ist damit auf einer Linie mit den Veranstaltern. Es gibt jedoch Ärzte, die das ganz anders sehen. Ausgedehnte Studien über das Phänomen sind zwar Mangelware, aber einige Erkenntnisse geben Grund zur Sorge.

Für Wettess-Novizen sind die extremen Praktiken sowieso gefährlich: Zu große Mengen Wasser können den Elektrolyte-Haushalt im Blut negativ beeinflussen. Unbemerkte Magengeschwüre können im ungünstigsten Fall durch Fressattacken verletzt werden, und wer sich danach häufig übergibt, kann durch die aufsteigende Magensäure die eigene Speiseröhre schädigen.

Der Körper verändert sich

Bei den berühmten Essern sind solche Probleme zugegebenermaßen nicht bekannt, bis auf die eine oder andere rapide Gewichtszunahme nach der Karriere. Studien legen nahe, dass deren Körper entweder besondere Voraussetzungen für solche Wettbewerbe mitbringen, oder sich durch langes Training sogar anpassen.

Bei einer Untersuchung des Wettessers Tim Janus durch den Gastroentrologen Dr. David Metz von der University of Pennsylvania zeigte sich, dass dessen Magen auf die enormen Nahrungsmengen anders reagiert als der eines Durchschnittsmenschen. Normalerweise signalisiert der Magen dem Gehirn, dass ausreichend Nahrung aufgenommen wurde: Man ist satt. Bei Wettessern scheint dieser Impuls nicht (mehr) vorhanden zu sein. Die Folge: Der Magen zieht sich nicht zusammen, um die aufgenommene Mahlzeit zu verdauen.

Diese Tatsache birgt aber ein großes Gesundheitsrisiko. Laut Dr. Metz ist es möglich, dass der Magen durch die wiederholte Überdehnung die Fähigkeit verliert, sich zusammenzuziehen und sich so zu leeren. Diese sogenannte Magenlähmung kann zu chronischen Magenverstimmungen, Übelkeit und Erbrechen führen.

„Keine ernste Sache…“

Dr. Metz hofft auf Langzeitstudien, um die Risiken und Nebenwirkungen von 60 Hot Dogs in ein paar Minuten genauer entschlüsseln zu können. An Amateure hat er einen eindeutigen Rat: „Die Leute sollten das nicht zu Hause nachmachen.“

Chestnut bleibt Optimist. „Wettessen ist doch keine ernste Sache, es soll witzig sein.“ So lange er gesund bleibt und Spaß an der Sache hat, will er weitermachen. Also werden sich auch nächstes Jahr am 4. Juli Tausende vor seiner Bühne versammeln. Und die Rekorde werden wieder einigen Essern auf den Magen schlagen. Im wahrsten Sinne des Wortes.