Anton Hofreiter im Interview – „Fleischfabrik Deutschland“ gettyimages.de -- Grünen-Abgeordneter Anton Hofreiter
Interview zum Buch

Anton Hofreiter im Interview – „Fleischfabrik Deutschland“

Jeder von uns kann mit bewusstem Fleischkonsum die Fleischindustrie in Deutschland verändern. Auch der Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter möchte etwas bewegen und hat bereits 2016 ein Buch zum Thema geschrieben. Im Interview mit Nachwuchsjournalist Magnus Wiedenbeck spricht er darüber, was er mit "Fleischfabrik Deutschland" bewegen möchte.
Herr Hofreiter, was hat sie dazu getrieben ihr Buch zu schreiben, obwohl Sie kein Vegetarier sind?

Anton Hofreiter: In Zukunft werden 8, 9, vielleicht sogar 10 Milliarden Menschen auf diesem Planeten leben und ernährt werden müssen. Es geht darum, wie dies möglich sein kann, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören, ohne Menschenrecht zu verletzen, mit einer anständigen Tierhaltung und mit fairen Löhnen in der Landwirtschaft. Wie wir unsere Lebensmittel produzieren, ist eine der zentralen Herausforderungen. Denn Landwirtschaft macht einen erheblichen Teil der Nutzfläche aus. Deshalb ist die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben so zentral.

Was sind ihrer Meinung nach gute Gründe Fleisch zu essen, bzw. gute Gründe sich vegetarisch zu ernähren?

Anton Hofreiter: Es gibt eine ganze Reihe an guten Gründen, sich vegetarisch zu ernähren. Ein Grund ist etwa, dass man sich sicher sein kann, dass man kein Fleisch von gequälten Tieren isst. Wenn man sich allerdings dazu entschließt, Fleisch zu essen, dann sollte man darauf achten, dass die Tiere anständig gehalten wurden, indem man etwa Bio- oder Neulandprodukte kauft.

Sollte es mehr Vegetarier in Deutschland geben, oder würde es schon reichen, wenn wir unseren Fleischkonsum zurückfahren?

Anton Hofreiter: Es gibt Menschen, die aus ethischen Gründen der Meinung sind, man dürfe keine Tiere töten, was natürlich eine legitime Position ist. Andere essen aus gesundheitlichen Gründen kein oder wenig Fleisch. Beim Fleischkonsum kommt es auf die konsumierte Gesamtmenge in der Gesellschaft an. Allgemein muss man sich im Klaren sein: würden alle Menschen auf diesem Planeten so viel Fleisch essen, wie wir hier in Deutschland, dann bräuchten wir einen zweiten Planeten.

Wie merke ich denn, dass ich zu viel Fleisch esse?

Anton Hofreiter: Im Gesamtdurchschnitt wird in Deutschland mit 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr eindeutig zu viel Fleisch gegessen. Das wirkt sich auch auf unsere natürlichen Lebensgrundlagen aus.

Fleischfabrik Deutschland anton hofreiter

Wie viel Fleisch pro Tag wäre denn OK?

Anton Hofreiter: Um "pro Tag" geht es im Kern nicht. Manche Menschen essen nie Fleisch, andere essen sehr viel Fleisch. Um die Gesamtmenge zu reduzieren müssen wir an vielen Stellen ansetzen: bei der artgerechten Tierhaltung genauso wie beim Futtermittelanbau. Schließlich werden für die Massentierhaltung enorme Mengen an Soja gebraucht, die etwa in Südamerika zum Abholzen des Regenwaldes führen und dort menschliche Existenzen ruinieren.

Benötigt man denn jeden Tag Fleisch?

Anton Hofreiter: Nein, sonst würde es ja keine Vegetarier und Veganer geben.

Wenn in Deutschland jeder weniger Fleisch ist, passt sich die Fleischindustrie dann diesem Trend an?

Anton Hofreiter: Nein. Es wird ja sehr viel Fleisch exportiert, darum ist es eben eine so wichtige politische Frage. Es gibt zum Beispiel Subventionen, mit denen gewaltige Mengen an gefrorenem Hühnerfleisch nach Westafrika exportiert werden. Das ist dann dort auf dem Markt billiger zu kaufen als die Geflügelteile der lokalen Bauern. Deren Geschäft und damit ihre Existenz als Kleinbauern ist dann ruiniert. Ähnliches passiert bei Tomaten aus Italien und Spanien, die viel zu billig die Märkte Afrikas überschwemmen. Das ist ein großes Problem der modernen, hocheffizienten industriellen Landwirtschaft, wie wir sie in den USA und in Europa haben. Es wird zu viel produziert, die Überschüsse werden zu Dumpingpreisen exportiert und zerstören vor Ort die Lebensgrundlagen der Bauern.

Wann sind die Folgen der Massentierhaltung in diesem extremen Maße so groß, dass eine Agrarwende unausweichlich ist?

Anton Hofreiter: Die Folgen sind bereits jetzt enorm und nicht tragbar: Durch die massenhafte Ausbringung von Gülle wird unser Grundwasser verschmutzt. Die industrielle Tierhaltung verursacht großes Tierleid. Das Artensterben - auch bei uns - schreitet wegen des enormen Einsatzes von Pestiziden in großen Schritten voran, Regenwälder werden zerstört und die dort lebenden Ureinwohner vertrieben oder sogar ermordet, allein um den massenhaften Anbau von Soja dort zu ermöglichen. Eine Agrarwende ist überfällig.

Sollte eine Höchstzahl an Nutztieren pro Betrieb/Landwirt gelten?

Anton Hofreiter: Die Anzahl der Tiere sollte nach der Fläche ausgerichtet sein. Der Stall muss sich den Tieren anpassen und nicht umgekehrt. Wir sind der Meinung, dass wir zu dem alten System der sogenannten Großvieheinheiten zurückkehren sollten. Dazu muss es zur flächendeckenden Landbewirtschaftung mit ausgewogenem Verhältnis zwischen Ackerbau und Tierhaltung kommen. Es muss wieder Qualität statt Masse zählen.
Sollten die Biorichtlinien verschärft werden?
Anton Hofreiter: Die Biorichtlinien sind überhaupt nicht das Problem, das wir haben. Das Problem ist ein zu geringer Anteil von Ökolandbau und vor allem die industrielle Massentierhaltung. Wir müssen raus aus der industriellen Massentierhaltung.

Sollten die Wege zur Schlachtung kürzer sein, und sollte die hofeigene Schlachtung einfacher sein?

Anton Hofreiter: Bei beidem: Ja!

Angenommen in Deutschland würde es nur tierische Lebensmittel aus artgerechter Haltung geben, was würden sie zu dem Vorwurf sagen, dass sich nur Leute mit höherem Einkommen dieses Fleisch leisten können?

Anton Hofreiter: Nochmal: Wir müssen vor allem an die Strukturen der Fleischproduktion ran. Aber klar ist, dass wir als Gesellschaft weniger Fleisch aus Massentierhaltung essen müssen. Wenn dann vor allem die Reichen weiter viel zu viel Fleisch essen, dann ist das wie bei vielen Problemen, die wir in Deutschland haben: Reiche fahren öfter in Urlaub und fliegen zu viel, sie wohnen in Wohnung in der Stadt, während die Armen aus den Innenstädten wegziehen müssen. Darum bin ich der Meinung, dass es in Deutschland insgesamt gerechter zugehen muss, was die Verteilung von Einkommen und Vermögen angeht. Viele Probleme entstehen dadurch, dass Einkommen und Vermögen in Deutschland zu ungerecht verteilt sind.

Herr Hofreiter, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Hintergrund:
Das Interview führte der 14-jährige Nachwuchsjournalist Magnus Wiedenbeck und von der Pressestelle der Grünen zur Veröffentlichung freigegeben.