Küche ohne Grenzen - Eckart Witzigmann im Interview Götz A. Primke -- Eckart Witzigmann, Marc Haeberlin und Derk Hoberg (v.l.n.r)
Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann

Küche ohne Grenzen - Eckart Witzigmann im Interview

Eckart Witzigmann ist einer von nur vier Jahrhundert-Köchen auf der Welt. Derk Hoberg traf den Spitzenkoch zu einem ausführlichen und sehr persönlichen Interview im Rahmen des Kulinarischen Jakobsweges 2015 im österreichischen Ischgl. Darin blickt Witzigmann auf seine eigene Lehrzeit und Karriere zurück, berichtet über aktuelle Projekte und mögliche Entwicklungen in den Küchen dieser Welt.

Als bereits gekürter Koch des Jahrhunderts, Herr Witzigmann, was glauben Sie: Wer wird der nächste Jahrhundertkoch?

Nun ja, ich wurde im vergangenen Jahrhundert gekürt und das neue Jahrhundert ist ja noch relativ jung. Es gibt aber einige, die diesen Titel verdient hätten. Ich möchte jetzt hier keine Hitparade aufstellen, ich kann nur sagen, dass mich diese Auszeichnung vom französischen Gault-Millau damals unheimlich stolz gemacht hat. Inzwischen hat die Küche aber neue Dimensionen erreicht und es gibt grandiose Chefs. Das merke ich seit über 10 Jahren im Restaurant Ikarus; jeden Monat aufs Neue. Küchenchef Martin Klein und ich suchen dort die monatlichen Gastköche aus aller Welt mit aus und deshalb habe ich einen guten Überblick. Dabei stelle ich immer wieder fest, wie offen die Küche heute geworden ist. Man kann sagen, die Küche von heute kennt keine Landesgrenzen mehr.

Wie wird die Entscheidung bei der Wahl zum Jahrhundertkoch denn getroffen? Sind Sie als einer der bisherigen vier Köche des Jahrhunderts daran beteiligt?

Der Gault-Millau hat eine Jury, die darüber entscheidet. Ich halte mich da raus, ich bin kein guter Tester. Auch deshalb nicht, weil ich meine Kollegen nicht bewerten möchte. Deshalb nenne ich jetzt auch keine Namen, wenn Sie mich fragen, ob ein neuer Jahrhundertkoch in Sicht ist.

Sie sprechen die neuen Dimensionen des Kochens an. Wie stehen Sie denn beispielsweise zur Molekularküche?

Vor Ferran Adrià habe ich allergrößten Respekt, er ist ein großer Chef. Er kann Molekularküche. Für mich war das aber nie ein Thema. Inzwischen ist die Molekularküche ja auch nicht mehr das große Ding, das sie mal war. Aber eines ist klar: Nichts hat die Küche in den vergangenen 15 Jahren so beeinflusst – positiv wie negativ – wie die Molekularküche Ferran Adriàs und seines Restaurants elBulli. Gewisse Elemente daraus werden auch in Zukunft Bestand haben.

Das Essen dort war wissenschaftlich geprägt und künstlerisch präsentiert und angerichtet. Sehen Sie die gehobene Küche generell auch als Kunstform an?

Zunächst einmal muss man das Handwerk beherrschen. Dann kann das Kochen zu einem künstlerischen Handwerk werden. Ich würde jetzt aber nicht sagen, dass ich Künstler bin oder war. Vielmehr haben wir die Möglichkeit, unser Handwerk künstlerisch zu präsentieren. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich klassisch angerichtete Teller bevorzuge, als solche – ich nenne sie immer "Streberteller" – mit tausend Tupfen und Klecksen darauf. Ich kritisiere das nicht, das kann ohne Zweifel wunderschön aussehen, aber mir ist die klare Linie lieber. Zwei bis drei Komponenten die passen, die miteinander harmonieren. Das ist das Wesentliche in meinen Augen. Wissen Sie, was ich heute auch häufig vermisse in der gehobenen Küche?

Verraten Sie es mir!

Temperaturen. Fast alle Teller werden kalt angerichtet. Warum? Harald Wohlfahrt hat neulich bei uns im Ikarus in Salzburg gekocht. Wohlfahrt war seit langem mal wieder ein Koch, der großen Wert auf warme Gerichte, die auf heißen Tellern serviert werden, legt. Eine Wohltat.

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Derk Hoberg (re.) traf Eckart Witzigmann in Ischgl zum Interview

Viele Ihrer ehemaligen Schüler, wie eben jener Harald Wohlfahrt, sind heute selbst hochdekorierte Köche. Welche Empfehlung haben Sie für junge Köche heute? Als Koch muss man immer offen und interessiert sein. Neue Dinge kennenlernen wollen. Nur dann kann man sich meines Erachtens richtig entscheiden, in welche Richtung man selbst als Koch gehen will.

Vor diesem Hintergrund haben die Stammköche im Ikarus ja beste Voraussetzungen, möglichst viel Neues kennenzulernen…

Das stimmt, vor allem die jungen Köche dort. Aber es ist wie überall im Handwerk, es ist auch in der Küche schwer, gutes Nachwuchspersonal zu finden.

Wie empfanden Sie denn Ihre eigene Lehrzeit? Schildern Sie unseren Lesern doch bitte kurz ihre wichtigsten Stationen.

Bevor ich 1971 nach München kam und im Tantris angefangen habe, war ich 13 Jahre lang bei den besten Chefs der Welt in der Küche. Generell kann man sagen, dass ich damals kämpfen musste. Ich bin mit zwei Koffern durch Welt gezogen und habe gehofft, irgendwo einen Posten zu bekommen. Ich weiß noch, bei Paul Bocuse – ohne Zweifel eine meiner wichtigsten Stationen – habe ich 350 Francs (umgerechnet gut 50 €, Anm. d. Red.) verdient. Im Alter von 26 Jahren wohlgemerkt. Meine größten Mentoren waren vor Bocuse aber die Brüder Haeberlin im Elsass, Jean Pierre und Paul. Leider sind beide bereits verstorben. Bei ihnen habe ich die Nouvelle Cuisine kennengelernt. Es folgten weitere Stationen in Frankreich und in Brüssel war ich im ersten Drei-Sterne-Restaurant außerhalb Frankreichs beschäftigt, in der Villa Lorraine. Bevor ich im Tantris begann und später das Aubergine in München eröffnete, war ich allerdings noch in England, Schweden und den USA.

Das Tantris gibt es immer noch. Wie oft sind Sie heute in ihrem ehemaligen Restaurant zu Gast?

Sehr oft. Immer wenn ich in der Nähe bin, schaue ich auf einen Sprung vorbei. Das Tantris ist ja gewissermaßen auch ein Kind von mir. Wir haben damals eine Küche dort eingerichtet, die noch heute, über 40 Jahre später, ihresgleichen sucht. Wir installierten mehrere Aufzüge, je einen für Abfall und Anlieferung. Und ich freue mich wahnsinnig, dass der Hans (Haas, Anm. d. Red.) den Laden heute noch so erfolgreich führt.

Jener Hans Haas sagte mir neulich, Sie hätten ihm energisch zugeraten, den Posten dort anzunehmen.

Ja, das habe ich ihm damals empfohlen. So in der Art: Hans, wenn du das nicht machst, bist du ein Idiot. Dann hat er es zm Glück gemacht.

Haas Witzigmann
Hans Haas im Tantris

Sie gelten als absoluter Perfektionist in der Küche - ein Teil Ihres Erfolgsrezeptes. Das ging früher so weit, dass Sie in Ihren Restaurants Karteikarten mit den Vorlieben Ihrer Gäste geführt haben. Was stand auf diesen Karten drauf?

Alles. Wir haben damit im Aubergine angefangen, im Tantris hatten wir diese Kartei noch nicht. Wir haben den Tag des Besuches aufgeschrieben, den Geburtstag des Gastes, um ihm dann einen Kartengruß senden zu können. Wir haben notiert, welchen Wein er zum Essen hatte, welche Vorlieben auf dem Teller. Natürlich auch das, was der Gast nicht mochte. Kleinigkeiten eben, die der Gast honorierte. Feierte ein Gast bei uns im Haus Geburtstag, gab es einen Guglhupf und einen Strauß Rosen. Auch der Ansprechpartner des Gastes bei uns im Restaurant musste freundlich sein und immer den richtigen Ton treffen. Das fängt schon am Telefon an. Ich fand immer, man muss am Gast arbeiten. Der Gast ist der beste Multiplikator, um neue Gäste dazu zu gewinnen.

Seit sieben Jahren sind Sie nun Schirmherr des Kulinarischen Jakobswegs hier in Ischgl. Welchen Stellenwert hat die Veranstaltung für Sie?

Wir Köche sind ja nun schon seit langen Jahren hier beim „Sterne Cup der Köche“, einem Skirennen für Köche, herzlich willkommen. Da hat sich im Laufe der Zeit ein guter Kontakt zu den handelnden Personen wie Tourismuschef Alfons Parth entwickelt. Irgendwann ist man an mich herangetreten mit dieser Idee, die Hütten touristisch, kulinarisch und eben auch nachhaltig voranzubringen. Natürlich fragt man sich zunächst, ob man dahinter stehen kann. Die bisherige Entwicklung bestätigt mich aber, hier als Schirmherr zu fungieren. Die Gastköche, die wir für den Jakobsweg bisher hier hatten, waren alle hervorragend. Auch dieses Jahr präsentieren die aktuellen Köche wieder tolle Gerichte.

Was verbinden Sie als gebürtiger Österreicher sonst noch mit dem Aufenthalt in den Bergen?

Ich treffe hier viele Freunde wieder, inzwischen bin ich ja fast schon heimisch in Ischgl. Leider fahre ich nicht mehr Ski, das lässt mein Knie nicht zu. Eigentlich hätte ich das längst schon operieren lassen müssen – bis jetzt war ich zu feige dazu. Das Skifahren vermisse ich schon sehr. Früher bin ich auch unheimlich gern Rennrad gefahren, auch in den Bergen. Meine Eddie Merckx-Räder habe ich noch immer bei mir zu Hause, nur beschränke ich mich heute darauf, die Bergetappen der Tour de France im Fernsehen zu schauen.

Wenn Sie selbst ein Gericht für den Kulinarischen Jakobsweg kochen sollten, welches wäre das?

Ich würde von den Zutaten her auch in der Region bleiben, würde gesundes Wildfleisch zubereiten. Vielleicht auf Ragout-Basis, als Reh- oder Hirschragout. Auch die Mehlspeisen-Vielfalt Österreichs bietet sich hier an. Da sollte man sich auch gar nicht so weit vom Wanderer entfernen. Der Wanderer mag es deftig und will nach seiner Wanderung auch belohnt werden. Ein guter Käse, ein gepflegtes Bier, einen guten Schnaps dazu. Der Hintergedanke ist, das generelle Niveau anzuheben und die Hüttenwirte werden sich dessen immer mehr bewusst.

Dennoch boomen heutzutage auch neue Produkte, die einem nicht immer als natürlich erscheinen. Immer mehr Menschen essen gluten- und laktosefrei, obwohl sie gar keine derartigen Unverträglichkeiten haben. Sie denken, diese Ernährung sei generell gesünder. Wie stehen Sie diesem Trend gegenüber?

Solche Allergien gab es zu meiner Zeit nicht, sage ich jetzt mal überspitzt. Das war Neuland. Damals war auch regionale und nachhaltige Küche nicht selbstverständlich. Wer kannte früher schon die Produzenten der Lebensmittel? Heute kommen Produzenten in die Küchen und bieten ihre besten Produkte direkt an. Da hat sich sehr viel getan und das Essen hat inzwischen den Stellenwert, den es schon lange verdient hat. In der Tat bilden sich aber immer mehr Menschen ein, sie hätten eine Unverträglichkeit. Ich bitte Sie, das jetzt nicht falsch zu verstehen. Natürlich gibt es auch Fälle, wo ganz gravierende allergische Reaktionen bei bestimmten Lebensmitteln auftreten. Köche müssen das auch ernst nehmen. Wenn das Essen ohne Artischocke bestellt wird, dann heißt das auch ohne Artischocke. Aber insgesamt wird es schwieriger und ich weiß nicht, ob das immer notwendig ist. Durch das Verhalten der Menschen, die ganzen Kennzeichnungspflichten und Verordnungen heute, wird es immer schwerer für die Köche, überhaupt noch etwas zu finden, was die Leute essen können – oder wollen.

Eckart WitzigmannSie sagen, das Essen hat heute einen höheren Stellenwert. Dennoch werden immer mehr Menschen immer früher immer dicker. Wird hier noch nicht genug Aufklärung betrieben?

Meiner Ansicht nach wird im privaten Bereich heute schon mehr darauf geachtet, regional und nachhaltig einzukaufen und sich auch ausgewogen zu ernähren. Zeitungen und Magazine berichten darüber und Bio ist heute bereits ein Schlagwort – das ist doch ein echter Fortschritt. Zur Aufklärung trägt da sogar ein Stück weit die Unterhaltungsindustrie bei, wobei nicht jeder Zuseher einer Kochsendung danach gleich zur Pfanne greift, selbst kocht und seine Ernährung umstellt. Wichtig ist einfach, dass die Eltern Vorbilder sind. Auch, oder gerade bei der Ernährung. Das dürfen Eltern nicht nur als Aufgabe der Schule sehen.
Das ist ihre eigene ganz große Verantwortung ihren Kindern gegenüber.

Wie bereits erwähnt sind Sie der Patron des Ikarus im Hangar 7 in Salzburg. Wie ist denn die Idee zu dieser Art der rotierenden Küche dort entstanden?

Eigentlich sollte ich dort Koch werden, jedoch schwebte auch immer die Idee von Dietrich Matteschitz im Raum, Gastköche aus aller Welt einzufliegen. Ich habe mir das dann angeschaut, der Hangar war zum damaligen Zeitpunkt noch eine Baustelle. Wir haben uns schließlich auf Matteschitz´ Idee mit den Gastköchen geeinigt. Das heißt, wir reisen seither durch die Welt und besuchen zunächst die Köche, die zu uns kommen. Wir gehen mit ihnen auf den Markt, kaufen ein, kochen mit ihnen und wenn sie dann nach Salzburg kommen, wissen wir, was sie benötigen. So ist alles im Vorfeld bereits organisiert. Sie bekommen alle Zutaten, alle Küchengeräte und alles, was sie brauchen. Das macht das Konzept dort so einzigartig.

Reisen Sie noch immer selbst, um die Köche auszuwählen?

Nein, das ist mir inzwischen zu anstrengend. Ich bin die ersten beiden Jahre geflogen, von 2004 an. Wir waren ja überall auf der Welt unterwegs. Man steigt aus dem Flieger und steht gewissermaßen sofort in der Küche. Keine Chance zum Ausruhen. Nach mir ist dann der ehemalige Küchenchef Roland Trettl geflogen, jetzt macht das der neue, Martin Klein. Dabei ist aber auch das Netzwerk der ehemaligen Gastköche inzwischen sehr hilfreich.

Was gibt es bei der Auswahl der Köche, respektive ihrer Gerichte zu beachten?

Gut, da müssen wir schon ein wenig Rücksicht auf unsere österreichischen Gäste nehmen. Wir hatten einen sehr bekannten Koch aus Peru zu Gast. Dem mussten wir die Meerschweinchen natürlich ausreden.

Eckart Witzigmann

Greifen Sie dort auch manchmal noch selbst zum Kochlöffel?

Nein, da ist wirklich nur der jeweilige Gastkoch gefragt. Die wissen ja alle, was zu tun ist.

Wer kommt denn heute dann noch in den Genuss Ihrer Kochkunst?

Ich koche zu Hause in München jeden Tag für Niki (Lebensgefährtin, Anm. d. Red.) und mich noch selbst. Ich bekomme noch zahlreiche Anfragen, um auch auf Events zu kochen, aber das Feuer ist einfach nicht mehr so da. Und in meinem Alter verliert man dazu noch die nötige Fingerfertigkeit. Es gibt so viele junge und talentierte Köche, die sollen das mal machen.

Wie muss man sich das vorstellen, wenn Eckart Witzigmann zu Hause kocht? Gibt es dann klassische Hausmannskost?

Ich war immer schon ein großer Gemüseliebhaber. Gemüse, Salat, das hat in meiner Küche immer eine große Rolle gespielt. Deshalb gehe ich jeden Tag zum Viktualienmarkt und suche uns unser Essen frisch zusammen. Dabei muss ich auch nicht täglich Fleisch haben. Und man kann es schon noch essen, was ich heute koche.

So ganz ist die Leidenschaft für das Kochen also doch noch nicht erloschen...

Nein, natürlich nicht. Ich stelle mich dabei auch immer noch selbst in Frage. Sie haben vorhin selbst festgestellt, dass ich als Perfektionist gelte. Durch das Ikarus lerne ich beharrlich dazu und obendrein bin ich noch immer verdammt neugierig.

Vielen Dank, Herr Witzigmann.

Infos zur Person: Eckart Witzigmann

Eckart Witzigmann

Der gebürtige Österreicher Eckart Witzigmann wurde in den besten Häusern der Welt ausgebildet. 1978 eröffnete er dann sein eigenes Restaurant, das „Aubergine“ in München, die zur Keimzelle des deutschen Küchenwunders wurde. Bereits 1979 erhielt sie als erstes Restaurant in Deutschland überhaupt und Witzigmann selbst als der dritte Koch außerhalb Frankreichs die begehrten drei Michelin-Sterne. Nach zahlreichen weiteren Auszeichnungen wurde er 1994 vom Gault Millau als „Koch des Jahrhunderts“ ausgezeichnet. Neben ihm tragen nur Paul Bocuse, Joël Robuchon und Frédy Girardet diesen Titel. 2007 wurde Eckart Witzigmann schließlich von der schwedischen Universität Örebro (Gastronomie-Universität) zum Professor und Dr. ehrenhalber berufen.