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UNFAIR! Webers Kolumne Inka Meyer/ www.designee.de

UNFAIR! Webers Kolumne

Kabarettist Philipp Weber widmet sich in seiner aktuellen Kolumne dem Fairen Handel.

Advent: Zeit der Besinnung, Zeit der Gnade, Zeit in der alle Menschen etwas milder und freundlicher gestimmt sind, Zeit in der selbst ein Tengelmann zum Weihnachtsmann wird. Denn ist es nicht unglaublich wie viel Gutes man heute in einem Supermarkt tun kann? Nicht nur für die Umwelt, auch für die gesamte Menschheit: öko-fairer „AiLaike Handmade Iced Tea Pfirsich-Mango“, „FairFeelsGood-Tee“, „Fairglobe Brauner Rohr-Rohzucker“, „Fair zum Landwirt“-Milch, „Penny Fairtrade-Rosen“, die Liste ist lang… In der Drogerie-Abteilung finde ich sogar faire Kondome: unfair„Hot Rubber – das weltweit erste Kondom aus fair gehandeltem Latex“. Das erschüttert mich jetzt total! Ich hatte beim Sex eigentlich nie das Gefühl, etwas falsch zu machen. Also, ich meine jetzt ethisch: Ich habe noch nie den Akt der Liebe mit schlechtem Gewissen vollzogen. Unter ökologischen Gesichtspunkten ist der CO2-Ausstoß im Vergleich zu einem ruhigen Mittagsschlaf natürlich miserabel. Aber sonst habe ich meinen schmutzigen Trieben mit der unschuldigen Seele eines Neugeborenen gefrönt. Jetzt schäme ich mich, dass ich auf dem Höhepunkt meiner erotischen Phantasien keine Sekunde an die Arbeitsbedingungen in Kautschuk-Plantagen gedacht habe. Nun wird es für mich heißen: Bumsen für eine bessere Welt.

Der Supermarkt ist heute ein zentraler Ort der Weltverbesserung geworden, denn Konsum ist eine der letzten Partizipationsmöglichkeiten für den politikverdrossenen Bürger. Hier liegt seine eigentliche Macht: Tagtäglich kaufen wir Waren für etwa eine halbe Milliarde Euro ein. (80% der Kaufentscheidungen werden übrigens von Frauen getroffen. Und hier könnte man als Mann schon wieder fragen: Wie fair ist das denn?) Das heißt, mit unserem Griff ins Regal können wir Konsumenten Unternehmen unterstützen oder wieder fallen lassen. Denn das radikalste Mittel im Kampf gegen globale, soziale, ökologische und ökonomische Verhältnisse ist heute der Boykott. Deutsche lieben den Boykott. Vierfünftel bezeichneten in einer Studie des Allensbach-Instituts den Kaufboykott als ihr wichtigstes Mittel, Einfluss zu nehmen.

Diese Idee ist nicht neu. Schon im 18. Jahrhundert boykottierten die Engländer Zucker aus Sklavenarbeit. In den Siebzigern des folgenden Jahrhunderts kam die Ächtung von Nestlé – der Konzern wurde wegen seiner aggressiven Vermarktungsstrategien von Säuglingsnahrung (Milchpulver) in Entwicklungsländern heftig kritisiert. In den Achtzigern wurden dann südafrikanische Früchte geächtet, um die Befürworter der Apartheid zu bekämpfen. In den Neunzigern blieb wegen der Verklappung von Bohrinseln für Shell an deutschen Autos der Tankdeckel zu. Und in diesem Jahrtausend ist der Damm endgültig gebrochen: Heute wird überall alles kaufboykottiert, was nicht einer korrekten politischen Agenda folgt: Katholiken rufen zum Israel-Waren-Boykott „Besatzung schmeckt bitter“ auf. Griechische Verbraucherschutzorganisationen wollen deutsche Produkte wegen Merkels Europapolitik die Kaufkraft verweigern. Moslems rufen zur Ächtung von Coca-Cola wegen dem amerikanischen Wirtschaftsimperialismus auf. Und viele Türken boykottieren immer noch französische Produkte, weil diese eine ziemlich einseitige und parteiische Interpretation des Völkermordes in Armenien haben. Und das ist natürlich hart. Wir wissen doch, wie gerne der Istanbuler Imbissbudenbesitzer nach einem harten Tag am Drehspieß seine Feierabende mit einem guten Burgunder und einer Terrine Gänseleberpastete beschließt.

Ja, aber manchmal ist es mit dem Boykottieren ganz schön schwer. Wenn mir die italienische Politik gegenüber afrikanischen Flüchtlingen nicht gefällt ist das kein Problem, dann steige ich halt vom Chianti auf französischen Bordeaux um. Ich bin ja kein Türke. Doch den besten Stör gibt es nun mal im Kaspischen Meer. Und es kann ja wohl nicht sein, dass ich auf meinen Kaviar verzichten muss, nur weil der Iran an der Atombombe bastelt oder der kasachische Staatschef die Menschenrechte vielleicht ein bisschen freizügiger interpretiert. Deswegen geht heute der Trend vom Boykott zum Buycott. Statt verwerfliche Produkte nicht zu kaufen, entscheidet sich der bußfertige Konsument gezielt für Waren, die moralisch erhaben sind. Zum Beispiel Krombacher Pils. Die Großbrauerei war ja der Vorreiter in Sachen karitativer Konsum. Schon 2002 hieß es: „Mit einem Kasten Bier können Sie einen Quadratmeter Regenwald retten“. Die versteckte Logik dahinter: „Je mehr Bier ich trinke, desto mehr Regenwald rette ich.“ So erzählten mir Freunde stolz, sie hätten auf einem Festival-Wochenende das gesamte Kongobecken renaturiert! Naja, wenn sie sich dabei nur nicht getäuscht haben: Denn laut Regenwald Report sollen jährlich mehr als zehn Millionen Hektar Tropenwald abgeholzt werden. Das sind 100 Milliarden Quadratmeter. Das heißt, es müssten täglich in Deutschland 274 Millionen Kisten Bier getrunken werden, um den gegenwärtigen Verlust an Regenwald zu kompensieren. Eine Aufgabe, die die vielen jungen Naturschützer wahrscheinlich die Leber kosten wird.

Auch wenn Krombacher für diese Aktion eher belächelt wurde, hat das Model doch Schule gemacht. Heute kann man im Supermarkt alles unterstützen: Mit Mineralwasser werden Brunnen in Indien ausgehoben, mit Schokolade die Schulbildung afrikanischer Kinder finanziert und mit Babybrei Säuglingsstationen in Osteuropa gebaut. Mittlerweile richte ich meinen täglichen Bedarf an Gebrauchsgütern an konkreten Hilfsprojekten aus. So überfliege ich meinen Einkaufswagen und sage: „Fein, mit der Zahnpasta habe ich ein SOS-Kinderdorf mitfinanziert! Und mit den Frühstücksflocken eine Jugendheim-Sporteinrichtung. Was fehlt noch? Stimmt, der Käse-Cracker für die Landminenopfer in Bosnien.“

Das Paradies ist da möglich, wo sich Hedonismus und Humanismus tatkräftig die Hände reichen.

Und ein Ende ist nicht in Sicht: Marktforscher erkennen eine steigende Nachfrage nach Fairness. Nicht mal die Lebensmittel-Discounter können sich dem entziehen – manche gründen sogar ihr eigenes Label, wie z.B. Lidl. Ein Unternehmen, das berühmt ist für seine exzellenten Arbeitsbedingungen und üppigen Gehälter. Denn mit moralischen Produkten kann man sündhaft viel Geld verdienen. Schließlich gehört eine tadellose Imagepflege zu den wesentlichen Säulen des modernen Marketings. So beißt der Konzern dann in den sauren Apfel und zahlt den Kaffeepflückern in Afrika einen Cent mehr für’s Kilo. Kein Problem, zum Ausgleich können wir ja die Milchbauern in Bayern weiter durch Preisdumping ausbeuten. Marktwirtschaftlich muss sich die Fairness ja rechnen.

Ich muss zugeben, ich fühle mich als Konsument langsam echt ein bisschen überfordert. Wie soll ich damit umgehen, dass von meiner Kaufentscheidung auf einmal das Wohl der Welt abhängt? Da denkst du einmal nicht richtig nach, kaufst am Bahnhofskiosk eine Flasche Kakao und schwups – schon wieder stapft irgendwo in Ghana ein ABC-Schütze bewaffnet durch den Busch. Die Politik wälzt das schlechte Gewissen auf uns Verbraucher ab. Das ist unfair! Warum sorgen die Regierenden nicht dafür, dass internationale Regeln für einen gerechten Handel und internationale Standards eingeführt werden? Oder zumindest eine verbindliche Regelung, was genau als Fair-Trade-Produkt deklariert werden darf. Fair ist kein geschützter Begriff wie Bio. Ein Bio-Schwein, dem gentechnisch veränderter Mais verfüttert wurde, hat vor Gericht mehr Chancen als ein hungernder Teepflücker. Fair ist relativ: Während der eine Konzern es fair findet, dass auch in seiner Niederlassung in Kolumbien ein Betriebsrat gewählt wird, finden es andere Unternehmen schon fair, nach einem Streik dem Gewerkschaftsführer die Beerdigung zu bezahlen. Der eine Konzern hält Kinderarbeit für eine Sauerei, der andere meint, in einem armen Land wie Bangladesch arbeitslos zu sein ist auch für einen Neunjährigen kein Spaß.

Sie werden sich jetzt denken: „Das hört sich aber negativ an“. Meint der Philipp etwa, man soll kein Fair Trade kaufen? Um Gottes Willen, natürlich sollen Sie das. Der Marktanteil dieser Produkte liegt in Deutschland gerade mal bei 1%. Und das, obwohl laut Umfrage 50% der Deutschen den fairen Handel unterstützen wollen. Also, jeder will’s, aber keiner tut’s. Das ist natürlich bitter. Denn hinter dieser Idee steht im Wesentlichen die Zahlung von Mindestpreisen, Mindestlöhnen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Verbot von Kinderarbeit und manchmal sogar Finanzierung von Bildungs- und Sozialprogrammen. Und wenn Sie Fairen Handel unterstützen wollen, sollten Sie natürlich sicher sein, dass Sie sich für das richtige Fair-Trade-Siegel entscheiden. Sehr gute Noten hat Stiftung Ökotest zum Beispiel an die Label FAIRTRADE, GEPA, EL PUENTE, BanaFair oder dwp vergeben. Und das Zeug können Sie von mir aus auch im Discounter kaufen, warum nicht? Schließlich ist es für die Notleidenden egal, ob Sie Ihre Spende in der Kirche machen oder im Puff.

BUYCOTT-FILMTIPP: Carrotmob in Hamburg: Einkaufen für’s Klima – fair, nachhaltig und bio!
www.carrotmobhh.de
Hier gibt es ein Video zum Thema: www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=WBksC3VjpSg#!

Zur Person
weberPhilipp Weber ist nicht nur ein hochtalentierter Kabarettist, er ist auch studierter Chemiker. Und mit dieser Doppelbegabung hat er es sich zur Aufgabe gemacht, Verbraucherschutz zur humoristischen Kunstform zu erheben. Denn lange vor Renate Künast hat Philipp Weber die politische Dimension von Essen erkannt. Sein neues Programm „Futter“ (Hier geht es zum Tour-Plan) ist, wie er selber meint, eine satirische Magenspiegelung der Gesellschaft. Da er nach seinen Vorstellungen immer wieder von Zuschauern angesprochen wurde, begann er, seine aktuellen Beobachtungen zum Thema Essen in seinem "Futterblog" zu dokumentieren.