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Verteilen statt vernichten - Unterwegs mit der Münchner Tafel

Über 200.000 Menschen leben in München in Armut. Eine Zahl die aus dem Armutsbericht der Stadt München von 2011 hervorgeht. Die Stadt selbst, aber auch der Verein Münchner Tafel e.V., kämpfen dagegen an. worlds of food hat Mitarbeiter der Münchner Tafel einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitet, die im Wesentlichen darin besteht, Lebensmittelspenden für Bedürftige zu sammeln. Lesen Sie Teil 1 unserer Reportage.

Die Stadt München hat auf die alarmierenden Zahlen und die zunehmende Armut seit geraumer Zeit reagiert, erhöhte freiwillig den Sozialhilferegelsatz und investierte unter anderem in Aus- und Fortbildung. Dennoch bezeichnet Münchens Oberbürgermeister Christian Ude die Münchner Tafel und ihre Arbeit gerne als „unverzichtbar und als unschätzbaren Glücksfall für die Stadt!“ Warum das so ist und was der mildtätige Verein leistet, erlebte worlds of food-Redakteur Derk Hoberg einen Tag lang hautnah mit:

gromarktDienstantritt: Morgens um halb acht. Treffpunkt: Großmarkthalle München. Dort hat die Münchner Tafel seit ihrer Gründung 1994 ein Büro, eine kleine Lagerhalle und sie darf ihre Kleintransporter und Kühlwagen kostenlos abstellen. Der Betrieb auf dem Großmarkt ist zu dieser Zeit schon ein wenig abgeebbt, schließlich findet der eigentliche Warenhandel dort bereits ein paar Stunden früher statt. Die Fahrer der Münchner Tafel sammeln sich hingegen genau jetzt, um ihre allmorgendlichen Touren zu besprechen, besteigen die Kleinbusse und machen sich auf den Weg. Ich werde dem 58-jährigen Klaus zugeteilt, der mich freundlich begrüßt. Er macht einen geselligen Eindruck. Genau der richtige also, um bei der anstehenden Tour durch die Stadt möglichst viel über die tägliche Arbeit der Münchner Tafel und ihre Helfer zu erfahren.

Wegwerfen ist günstiger als Umpacken

Insgesamt 13 Wagen sind heute unterwegs. Alle haben sie eine feste Route, die sie an die Laderampen von Supermärkten, zu Kaufhäusern oder zu Backstuben führt. Dort steht meist schon die Ware bereit, die im Laden nicht mehr verkauft werden kann – und das, obwohl sie teilweise noch einwandfrei ist. Für die Regale eines Supermarktes aber offenbar nicht mehr gut genug. So befindet sich in manch einem Orangennetz ein verschimmeltes Exemplar, hin und wieder ist eine Paprika in der Packung verdorben. Die müssen natürlich aussortiert werden, der Rest ist jedoch zum Verzehr absolut geeignet.

Den Supermärkten ist das Umpacken zu kostenintensiv. Da entsorgt man es lieber komplett, samt der noch verzehrbaren Ware. Das ist billiger und die Waren können offiziell abgeschrieben werden. Immerhin spenden inzwischen viele Münchner Supermärkte und Discounter, wie auch anderswo in Deutschland, die noch brauchbaren Lebensmittel auch an mildtätige Vereine wie die Tafeln.

100 Tonnen Lebensmittel pro Woche

Wie voll denn das Auto wohl letztlich werden wird, frage ich Klaus als wir losfahren. Auf seine Antwort muss ich aber einen Moment warten, denn unmittelbar nachdem wir vom Großmarkt  aufbrechen, klingelt sein Handy. Ein Fischerei-Unternehmen am anderen Ende. Es stellt sich heraus, dass dort heute noch 86 Kilogramm Fisch abzuholen sind, außerhalb der gewohnten Tour unseres Wagens. Kann nicht mehr verkauft werden, sehr wohl aber verzehrt.

„Es wäre toll, wenn noch mehr solcher Sonderposten reinkommen würden“, sagt Klaus nachdem er aufgelegt hat und kommt auf meine Frage von vor dem Telefonat zurück: „Früher haben wir die Transporter noch fast voll bekommen. Ein volles Auto reichte dabei für die Versorgung von 100 Tafelgästen aus. Heute kalkulieren die Supermärkte aber knapper, bestellen von vorneherein weniger Waren.“ Zudem haben sich die produzierenden Unternehmen mit Beginn der Wirtschaftskrise offenbar darauf besonnen, ihre Produktionsmengen zu optimieren. Die vorherige Überproduktion kam der Münchner Tafel zu Gute, konnte aber nicht im Interesse der Lebensmittelindustrie sein. Und auch die Supermärkte fahren eine neue Strategie: in ihren Billigecken verkaufen sie nun Ware die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums steht zu stark reduzierten Preisen und machen damit guten Umsatz. Die Tafel muss das nun anderweitig kompensieren.

tafelDennoch sammeln die Helfer der Münchner Tafel pro Woche insgesamt beeindruckende 100.000 Kilogramm Lebensmittel von ihren Sponsoren ein. Klingt gar nicht so knapp kalkuliert von den Supermärkten, denke ich mir noch. Gegen Ende unserer Tour – so viel sei vorweg genommen – werde ich aber doch feststellen müssen, dass unsere 11 Anlaufstellen am Morgen tatsächlich nicht ausgereicht haben, um die Ladefläche unseres Kleintransporters zur Gänze zu füllen.

Der Ablauf der Tour

Klaus erklärt mir derweil noch rasch, wie die Tour und ihr genauer Ablauf aussehen. Wir werden den Norden Münchens durchkämmen, dort verschiedene Supermarkt-Filialen anfahren und Lebensmittel abholen. Während er direkt zur Verladerampe fährt, steige ich vor dem jeweiligen Supermarkt aus, gehe hinein und suche einen Angestellten der uns die Laderampe aufmacht und uns zeigt wo die aussortierten Waren stehen. Obwohl mich Klaus vorgewarnt hatte, erschrecke ich direkt bei unserer ersten Station, wie die Lebensmittel zur Abholung hergerichtet sind. Schwer vom Müll zu unterscheiden, liegt dort doch auch allerhand anderer Kram, welcher ganz sicher nicht als Spende für die Tafel gedacht ist. „Wir sprechen das in den Märkten an“, berichtet Klaus. „Allerdings müssen wir ja auch sehr dankbar sein, dass die Supermärkte uns überhaupt bei unserer Arbeit unterstützen, das ist auch nicht selbstverständlich. Insofern packen wir das ein was wir verwenden können, hinterlassen die LKW-Rampe ordentlich, sind höflich zu allen und machen einfach unseren Job.“

Klar, mit dieser Einstellung fährt er für seinen Teil gut. Jedoch müssen Angestellte eines Supermarktes doch nicht kaputte Sahnebecher über den Lebensmitteln lagern, die noch gut und für die Gäste der Münchner Tafel gedacht sind. Genau so, dass die ganze Sahne über Salat, Tomaten und Eierkartons läuft. Stumpft die Arbeit im Supermarkt dermaßen ab, dass jeglicher Respekt vor Lebensmitteln abhanden kommt – und damit auch vor denjenigen die an ihrer Produktion beteiligt waren und vor allem vor den Bedürftigen, für die sie nun bestimmt sind? Ich merke bereits zu Beginn dieses Tages, dass es nicht immer ganz so leicht würde, eine gewisse Objektivität zu wahren. Immerhin erkundigt sich später ein junger Azubi eines Supermarktes nach der Arbeit der Tafel, zeigt bei seiner Pausenzigarette gewisses Interesse. Inwieweit dieses ehrlich gemeint war, ist fraglich. Das wird Klaus vielleicht in den kommenden Wochen an der Laderampe dieses Supermarktes merken. Zu wünschen ist es ihm.

Klaus hat seine Berufung gefunden

Die Mitarbeiter der Münchner Tafel, sowohl die über 450 ehrenamtlichen als auch die festangestellten, tun also Gutes, müssen dafür aber manchmal im Müll der Laderampen wühlen. Dieses Gefühl werde ich erst einmal nicht mehr los. Doch Klaus hat sich dem Anschein nach daran gewöhnt, freut sich, wenn ein Laden viel Ware übrig hat und nimmt das in Kauf. Denn dadurch können mehr Menschen mit Lebensmitteln versorgt werden: „Ich arbeite gerne mit und für Menschen.“, sagt er nicht ohne spürbaren Stolz auf seine Arbeit. Überhaupt ist er eine Frohnatur, hat seine Berufung gefunden. Vor Jahren war er mit seiner Firma, einem kleinen Transportunternehmen, Konkurs gegangen. „Ich war kein guter Unternehmer, kein Geschäftsmann“, gibt er zu. Eine Zeitlang benötigte er, um wieder auf die Beine zu kommen. Als Hartz IV-Empfänger war er selbst eine Weile lang Gast bei einer der Ausgabestellen der Münchner Tafel. Irgendwann wurde er dort angesprochen, ob er denn nicht bei der Tafel mithelfen wollte, über die 1-Eurojob-Regelung gäbe es dort Möglichkeiten. So fing Klaus sich wieder, hatte eine neue Perspektive und nutzte die Chance, die sich ihm bot. Inzwischen ist er seit fünf Jahren bei der Tafel, mittlerweile sogar fest angestellt – und vor allem ist er glücklich mit dem was er tut.

Leckeres Obst und Gemüse

gemseIm Laufe der Tour kommt auch der Appetit, der sich in meinem Fall morgens in der Regel recht schleppend einstellt. Doch bei all dem was wir hier nach und nach auf die Ladefläche des Transporters schaffen ist er nur eine logische Konsequenz. Äpfel, Birnen, Him- und Brombeeren, jede Menge unterschiedlicher Obstsorten. Kartonweise Tomaten, Gurken und Paprika. Qualitativ gutes Gemüse jeglicher Couleur. Dazu Backwaren, Milchprodukte, Eier. Höhepunkt der Anzahl nach aber Bananen. Einmal zu gelb oder gar eine kleine braune Stelle auf der Schale, werden sie aus der Auslage des Supermarktes genommen. Paradox. Ich persönlich kaufe nie grüne Bananen, schmecken sie doch erst, wenn sie gelb sind.

Immer weiter unterwegs im Norden Münchens erzählt Klaus, wie er vor einigen Jahren ein Haus hier in der Straße ausgeräumt hat. Rechtmäßig versteht sich, schließlich hatte die damals verstorbene Dame ihren gesamten Besitz der Münchner Tafel vermacht. Hausrat und Vermögen. „Diese Geste hat uns natürlich sehr gefreut und wir merken daran auch, dass die Bevölkerung unsere Arbeit schätzt“, sagt Klaus. Wir befinden uns zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Weg zu der Ausgabestelle, die für unseren Transport heute vorgesehen ist: Das Kapuzinerkloster St. Anton im Stadtteil Isarvorstadt. Hier wird das verteilt, was ohne die Tafel vernichtet worden wäre. Am Nachmittag werden dort knapp 200 Gäste erwartet, die mit Lebensmitteln versorgt werden.

Wie das abläuft, erfahren Sie im zweiten Teil der Reportage „Unterwegs mit der Münchner Tafel“.

ausgabe gromarkt